Brücken statt Mauern Das Asien-Europa Treffen (ASEM) 2020 in Phnom Penh

Dies ist ein Beispiel für die Herausforderungen in den asiatisch-europäsichen Beziehungen. Dabei geht es nicht nur um Unterschiede in der Kultur, im Politikverständnis und in den Gesellschaftsmodellen, sondern auch um das Wesen der Demokratie und ihrer Auslegung. Der zentrale Aspekt im europäischen Denken und damit in seiner Außen- und Sicherheitsstrategie ist die Demokratie. Die europäische Außenpolitik ist auf die Menschen ausgerichtet und fokussiert sich auf Frieden, Wohlstand und Demokratie. Daher basiert der europäische Ansatz nicht nur auf pragmatischen Bewertungen, sondern auch auf idealistischen Bestrebungen, wie es in der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union beschrieben ist. Deren Titel lautet: “Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa.” Dies führte und führt zu Spannungen zwischen den Staaten der EU und Asiens.

ASEM bietet die Gelegenheit für ein gemeinsames Handeln der Regierungen, um Unterschiede zu überwinden und gemeinsame Interessen und Werte zu entwickeln. ASEM fördert die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen durch Dialog und Zusammenarbeit zwischen zwei der wirtschaftlich dynamischsten Regionen der Welt. Es setzt sich für die Globalisierung und eine regel- basierte Weltordnung ein. Das Asien-Europa-Treffen bildet damit einen Gegenpol zu aktuellen globalen Trends des wachsenden Nationalismus, Populismus und Wirtschaftsprotektionismus, wie sie sich in der gegenwärtigen Politik der USA und Chinas widerspiegeln. In diesem schwierigen Umfeld ist das Königreich Kambodscha erstmalig Gastgeber des Gipfeltreffens, das vom 16. bis 17. November 2020 in Phnom Penh stattfinden soll. Das offizielle Thema des diesjährigen Gipfels ist „Strengthening Multilateralism for Shared Growth“ („Stärkung des Multilateralismus für gemeinsames Wachstum“). Darin spiegeln sich deutlich Kambodschas Bedürfnisse wider: Außenhandel, gemeinsames Handeln gegen den Klimawandel und ein strategischer, partnerschaftlicher Rahmen mit der EU, auch für eine Zeit nach der Entwicklungsförderung für das Land. Kambodscha hat jetzt die Chance, sich als Brückenbauer zwischen Asien und Europa zu bewähren.

Eine dringend notwendige Plattform für multilaterales Engagement

ASEM wurde 1996 gegründet. Seit dem ersten Gipfeltreffen in Bangkok mit 26 teilnehmenden Regierungen ist das Format auf gegenwärtig 53 Partner aus Asien und Europa angewachsen (einschließlich des ASEAN-Sekretariats und der EU). ASEM entwickelte sich von einer rein diplomatischen, multilateralen Veranstaltung zu einer mehrstufigen und multisektoralen Dialogplattform. Im Mittelpunkt steht eine nachhaltige wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie fairer und gleichberechtigter Welthandel, offene Volkswirtschaften, Stabilität und Sicherheit. Wirtschaftlich gesehen stellen Asien und Europa zusammen 60 Prozent des globalen BIP, 50 Prozent des Welthandels und 75 Prozent des weltweiten Tourismus. Die wesentlichen Leitprinzipien der zwischen- staatlichen und überregionalen Plattform sind gegenseitiges Vertrauen, gegenseitige Gleichberechtigung, Informalität, Betonung von gleichberechtigter Partnerschaft und ein doppelter Fokus auf die Vernetzung der Führungskräfte und der Bürger. ASEM versteht sich als ein sanfter institutioneller Ansatz zur Zusammenarbeit, der von den meisten asiatischen Staaten bevorzugt wird. Die Europäische Union ist auf vergleichsweise starken formalisierten Institutionen begründet, einschließlich eines bindenden Völkerrechts, das durch den Europäischen Gerichtshof durchgesetzt wird.

In einem größeren Zusammenhang gibt es drei Hauptargumente, warum der ASEM-Gipfel eine wichtige Rolle im aktuellen internationalen Kontext spielt. Erstens handelt es sich um eine zentrale Plattform zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses und zur Stärkung der Beziehungen zwischen europäischen und asiatischen Ländern. Hinzu kommt, dass die USA kein Mitglied von ASEM ist, wodurch die globale Führungsrolle Europas und seine konstruktive Zusammenarbeit auf Gebieten wie Klimawandel, Cyberkriminalität und Konnektivität gestärkt werden könnte. Zweitens bringt ASEM Staats- und Regierungschefs mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen, wodurch Austausch und Bindung auf mehreren Stufen möglich wird. Und drittens ist ASEM ein Bekenntnis zu einer multilateralen und regelbasierten Weltordnung.

Aus Herausforderungen werden Perspektiven

Es ist jedoch nicht alles rosig; der ASEM-Gipfel wurde oft wegen seiner inhärenten Mängel in Bezug auf den Institutionenaufbau und das Kräftegleichgewicht kritisiert. Aufgrund ihrer modernen Institutionen ist die Europäische Union besser organisiert als ihre asiatischen Partner, wodurch es zu Asymmetrien in den Machtverhältnissen kommt. Darüber hinaus ist ASEM stark vom Gastgeberland und den Treffen der Außenminister und hohen Beamten abhängig, da ASEM kein eigenes Sekretariat zur Vorbereitung der Treffen hat. Dies bringt verschiedene technische, organisatorische und budgetäre Herausforderungen vor Ort mit sich, insbesondere bei einem kleinen und unerfahrenen Gastgeberland. Eine der Herausforderungen für Kambodscha wird darin bestehen, die Staats- oder Regierungschefs einschließlich ihrer Delegationen und Flugzeuge zu beherbergen. Man stelle sich 53 Staats- und Regierungschefs vor, die per Flugzeug eintreffen, zum Teil mit ihren eigenen Regierungsjets.

Hinzu kommen die budgetären Herausforderungen. Zum Beispiel musste die Royal Cambodian Limousine Group zusätzlich 452 Luxusfahrzeuge im Wert von 30 Millionen USD erwerben, um die Gäste von ihren Hotels zum Aus- tragungsort des Gipfels zu fahren. Eine andere Aufgabe ist die Organisation und Koordination des Gipfels selbst. Das heißt, es muss ein geeigneter Veranstaltungsort gefunden, ein thematischer Rahmen abgesteckt, die Reihenfolge der Redner festgelegt werden, und zu guter Letzt folgt dann die Veröffentlichung einer Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse. Dies ist verbunden mit der Notwendigkeit, Ergebnisse zu liefern und den Eindruck zu vermeiden, dass es sich lediglich um eine kostspielige Fachsimpelei zum Austausch politischer Gemeinplätze handelt. Zusätzlich erfolgt durch die Regierung die Organisation oder zumindest die Koordination von sieben Nebenveranstaltungen, auf denen Wirt- schaftsführer, Parlamentarier, junge Führungskräfte und Journalisten aus Asien und Europa zusammenkommen.

Gestaltung neuer Narrative – Kambodscha als aufstrebendes Land?

Das Gipfeltreffen bietet Kambodscha die seltene Gelegenheit, seine Kultur und Errungenschaften einem breiten und globalen Publikum vorzustellen. Kambodscha präsentiert sich als ein Land, das sowohl auf seine kulturellen Wurzeln und seine Biodiversität als auch seinen sozioökonomischen Fortschritt stolz ist. Das Land, das häufig mit den Roten Khmer, dem sich anschließenden Sozialismus und der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kambodscha (UNTAC) in Verbindung verbracht wird, kann ein neues Narrativ gestalten und sich der Welt als ein offenes, multilaterales, kompetentes Land präsentieren, das Investoren, Geschäftsleute, Journalisten und Politiker willkommen heißt. ASEM bietet diese Plattform und gibt Kambodscha die Möglichkeit, seine Bereitschaft zu zeigen, eine größere regionale und globale Rolle in den multilateralen Institutionen einzunehmen. Es ist außerdem ein Meilenstein in der Weiterentwicklung des Landes, um nicht nur als Empfänger europäischer Entwicklungshilfe wahrgenommen zu werden. Ob es zu diesem positiven Narrativ kommt, hängt jedoch davon ab, wie sich die Beziehungen zwischen Europa und Kambodscha in den nächsten Monaten entwickeln. Als Vermittler im ASEM-Prozess hat Kambodscha die einmalige Chance, den Gipfel zu nutzen, um das eigene Image positiv zu korrigieren. Mit einer positiveren Berichterstattung würde auch das Fernbleiben von europäischen Staats- und Regierungschefs nicht riskiert werden.

Ein Szenario wäre, dass die kambodschanische Regierung guten Willen zeigt und durch Wiederherstellung glaubwürdiger demokratischer Verhältnisse in Kambodscha tatsächlich einen Schritt vorwärts macht. Dies wäre ein starkes Signal gegenüber der EU, ihren Mitgliedstaaten und Bürgern, das über quantitative Argumente wie zum Beispiel die Anzahl der NGOs oder Medien in Kambodscha hinausgeht. Es wäre außerdem ein Beleg dafür, dass Kambodscha in Verbindung mit der Marktwirtschaft auch ein demokratisches Modell entwickelt, so wie es in seiner Verfassung festgelegt ist. Ein anderes, negativeres Szenario bestünde in einem ungelösten Werte- und Wahrnehmungskonflikt zwischen der EU und Kambodscha. Auf der einen Seite wäre die EU, die auf ihrer Analyse der Situation beharrt. Auf der anderen Seite hätten wir die kambodschanische Regierung, die sich auf ihre nicht verhandelbaren Werte von Souveränität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten beruft. Dies könnte zum Fernbleiben der europäischen Staats- und Regierungschefs am Gipfel führen. Wie die Mongolei in ihrer Rolle als Gastgeber unter Beweis stellte, ist die Welt ein Dorf – und Kambodscha wird für einige Tage der Bürgermeister dieses Dorfes sein. Das ist eine wichtige, oftmals anspruchsvolle Funktion. Die Tagesordnung festlegen, Diskussionen führen, den Teilnehmern Gehör schenken und versuchen, alle gleichermaßen zufriedenzustellen. Das ist wahrer Multilateralismus. Als ein Brückenbauer ist Kambodscha in der Position, ASEM konstruktiv zu gestalten und seine eigenen starken Interessen für eine regelbasierte Weltordnung zu vertreten. Tatsache ist, dass Kambodscha genau dies nötig hat. Anderenfalls werden Brücken zwischen Asien und Europa einstürzen und Mauern bestehen bleiben.

 

Über die Autoren:

Dr. Daniel Schmücking ist Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kambodscha und Gründungsmitglied der Asienbrücke.

Robert Hör ist Programm Manager bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Phnom Penh, der Hauptstadt von Kambodscha.