CHINAS NEUE SEIDENSTRASSE Ist Deutschland bereit?

Am 6. Juni erschien dann bei der Siemens AG die Mitteilung, das Unternehmen habe in Peking den Belt & Road International Summit veranstaltet, und mehr als 1000 Vertreter von Regierungen, Unternehmen, Finanzinstitutionen und Denkfabriken aus 30 Ländern seien zum Gipfeltreffen angereist.

„Die Belt & Road Initiative ist eine Einladung an die Welt, am größten Infrastrukturprojekt der Welt teilzunehmen. Es ist eine wegweisende Bewegung, die Infrastrukturinvestitionen in Höhe von einer Billion Euro in 90 Ländern und darüber hinaus repräsentiert; ein Projekt, das das Potenzial hat, das Leben von 70 Prozent der Weltbevölkerung zu verbessern. Es ist ein Projekt, dass Chancen in praktisch jedem Sektor schafft“, sagte Kaeser in seiner Rede. Zur Erklärung: One Belt, One Road oder Belt and Road Initiative (BRI) ist die international etablierte Bezeichnung für die Wiederbelebung der Seidenstraßen-Infrastrukturkorridore.

Rückblick: Am 7. September 2013 kündigte Chinas Präsident Xi Jinping im kasachischen Astana den „Wirtschaftsgürtel Seidenstraße“ und im indonesischen Jakarta die „Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ als neue Phase der Wirtschaftspolitik Chinas an. Beim Boao-Wirtschaftsforum im März 2015 mit dem Titel „Asiens neue Zukunft: der Weg zu einer partnerschaftlichen Schicksalsgemeinschaft“ präsentierte die chinesische Führung dann mit „Visionen und Aktionen, um gemeinsam die Neue Seidenstraße zu bauen“ einen ersten Aktionsplan. Im Jahr 2017 trafen dann 29 Staats- und Regierungschefs sowie Spitzenvertreter aus 100 Ländern und internationalen Institutionen in Peking beim historischen Auftakt des „Belt and Road Forum for International Cooperation“ zusammen. Auch Staatschefs aus Italien, Spanien, der Schweiz oder Ungarn nahmen teil.

Der Aktionsplan beinhaltet den Zusammenschluss der Energieinfrastruktur, also Öl- und Gaspipelines, Kohle-, Wasser- und Kernkraftwerke. Es geht um den Aufbau moderner, automatisierter Industrien, von Wissenschafts- und Forschungszentren, grenzüberschreitenden Sonderwirtschaftszonen, neuen Städten, Wasserwegen, Häfen und Flughäfen – alles als ein sich mehr und mehr integrierendes globales Entwicklungskonzept. Auch neun afrikanische Länder haben BRI-Memoranden unterzeichnet, 20 weitere sind im Gespräch. Ebenso die BRICS, die Eurasische Wirtschaftsunion, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, UNASUR, CELAC und viele andere Staatengemeinschaften sehen in der Zusammenarbeit mit Chinas Neuer Seidenstraße den Schlüssel zur Entwicklung ihres Zukunftspotenzials.

Wie steht's um die deutsche Bauwirtschaft?

Was ist mit Deutschland? Erst im Februar 2018 hat die Außenwirtschaftsförderungsagentur des Bundeswirtschaftsministeriums, Germany Trade and Invest, zusammen mit einigen Handelskammern eine erste, relativ bescheidene Informationsinitiative gestartet. Es wird ziemlich offen zugegeben, dass „die deutsche Bauwirtschaft für Großprojekte im Infrastrukturbereich eher schlecht aufgestellt ist […]“, dass „Hermesbürgschaften bei der Finanzierung von Geschäften in vielen Seidenstraßenländern nach wie vor nur eingeschränkt zur Verfügung“ stünden, und dass der reguläre Bankensektor und internationale Kreditgeber, wie die Weltbank, zu hohe Zinssätze für solche langfristigen Großprojekte verlangten.

Deutsche Firmen sollten sich lediglich als Zulieferer und Spezialausrüster in den Sektoren Bahn-, Schiffs-, Hafen-, und Luftfahrttechnik bei schon bestehenden Projekten und in Sonderwirtschaftszonen anbieten. Eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie besagt gar, Deutschland drohe, den Anschluss im Weltmarkt zu verlieren, würde es die Fähigkeit, schlüsselfertige Großprojekte abwickeln zu können, gänzlich abgeben. Im Gespann mit einer ideologisch anti-industriellen Stimmung in Deutschlands politischen und gesellschaftlichen Institutionen stehen wir, was die Teilnahme am „Belt & Road“-Programm angeht, vor ziemlich großen Herausforderungen. Die Energiewende sorgt bereits jetzt in Deutschland für die höchsten Energiepreise Europas und für ein Abwandern energieintensiver Unternehmen.

Kreditsystem der Seidenstraßen-Staaten

Die traditionelle Industrie und Infrastruktur hat unter dem Strukturwandel hin zur Finanz- und Dienstleistungswirtschaft extrem gelitten. Seit der systemischen Finanzkrise 2008 haben Rettungspakete und billiges Geld für Banken und Aktienunternehmen einen fiktiven Boom ausgelöst und die Kultur der Spekulation an Finanzmärkten eher befeuert als erstickt. Die gute Nachricht ist: Die Seidenstraßen-Staaten haben in erstaunlich kurzer Zeit quasi ein neues, alternatives Kreditsystem begründet, zu denen unter anderem der Silk Road Fund mit über 55 Milliarden US-Dollar und die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) mit 100 Milliarden US-Dollar gehört. Beide unterstützen explizit Wirtschaftskooperationen unter dem Dach des „Wirtschaftsgürtels Neue Seidenstraße“ und der „Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“.

Der Kolumnist der Finanznachrichtenagentur Bloomberg, Noah Smith, stellte übrigens fest, China habe in den vergangenen 25 Jahren keine Wirtschaftsdepression erlebt. Chinas Führung weise in kritischen Zeiten ihre staatlichen Banken an, Kredite für den Infrastruktur-, Bau- und realwirtschaftlichen Unternehmenssektor auszuweiten. Durch diese Kreditpolitik habe China jedes Mal die von westlichen Experten vorhergesagten Crash-Szenarien abgewendet. Ein möglicher Anreiz zum Umdenken in Deutschland. Im GroKo-Koalitionsvertrag steht jedoch eine sehr allgemein gehaltene Bemerkung: „Chinas ökonomische Entwicklung ist besonders für die deutsche Wirtschaft eine große Chance. Exemplarisch für Chancen und Risiken steht die Seidenstraßen-Initiative Chinas. Wir wollen hierzu eine europäische Antwort entwickeln, um unsere Interessen zu wahren, und deutsche und europäische Finanzinstrumente besser ausstatten und bündeln.“

Die europäische Antwort wurde im Oktober in Brüssel vorgestellt und diskutiert. Es sind deutliche Anzeichen vorhanden, dass die EU das Projekt gänzlich ablehnt. Wird sich Deutschland dieser geopolitisch motivierten Haltung anschließen oder einen eigenen Weg suchen, wie es andere EU-Staaten bereits tun? In Italien hat man bereits eine BRI-China-Taskforce im Wirtschaftsministerium eingerichtet und jüngst eine erfolgreiche Tagung in Rom organisiert. Österreich schreibt in seinem Regierungsprogramm 2017-2022: „Wir möchten sicherstellen, dass große überregionale und geostrategische Infrastrukturvorhaben, wie zum Beispiel das geplante Seidenstraßenprojekt oder auch die Breitspur, nicht an Österreich vorbeilaufen, sondern wir als Hub ein Teil davon sind.“

Chinesische Renaissance

Die „Belt & Road“-Projekte gehen aber weit über den Bereich herkömmlicher Infrastruktur hinaus. China wird durch den Einsatz modernster Technologien im Bereich der Kernenergie, Magnetschwebebahn- und Raumfahrttechnik, bis hin zur Schaffung von modernsten Fusionskraftwerken, Quantensprünge in der Entwicklung machen. Aber auch im Bereich der Kultur schafft die Seidenstraßeninitiative neue Impulse. Der aus Paris stammende Begründer der China Europe International Business School, David Gosset, erläutert in Vorträgen und Artikeln seit einiger Zeit das Aufkommen einer „Chinesischen Renaissance“. Er sieht in dem von Xi Jinping vertretenen Grundsatz der „Schicksalsgemeinschaft für die Zukunft der Menschheit“ eine Neuinterpretation des klassischen Konzepts der sogenannten „Großen Einheit“ oder Harmonie für das 21. Jahrhundert.

In seiner Rede beim 18. Treffen der Staatschefs der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit am 10. Juni in der chinesischen Küstenstadt Qingdao begrüßte Xi Jinping die Anwesenden mit Zitaten von Konfuzius und Menzius, einem äußerst einflussreichen konfuzianischen Philosophen. Wenn Deutschland zu diesem gigantischen, optimistischen Aufbauprojekt Neue Seidenstraße etwas beisteuern will, sollte es das Image von industriellen Großprojekten verbessern, die geopolitische Position gegenüber China aufgeben und die humanistischen Werte seiner Kultur wiederbeleben.

 

Über den Autor:

Stephan Ossenkopp, Jahrgang 1969, ist Autor, Berater und Mitglied beim Internationalen Schiller-Institut. Er lebt in Berlin und forscht zu politischen und kulturellen Themen. Sie erreichen ihn unter: ossenkopp@schillerinstitute.org