Deutsches Institut für Entwicklungspolitik Der G20-Gipfel in Osaka - die Dürrejahre internationaler Kooperation

Statt eine proaktive Rolle als strategischer Lenkungskreis der Weltwirtschaft einzunehmen, der Reformen weiter vorantreibt und für die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter (zum Beispiel Klimaschutz, Freihandel) sorgt, zeichnete sich die G20 eher durch das Springen von einem Thema zum nächsten aus. Dieses „issue hopping“ ist auch eine Folge der jährlich wechselnden Vorsitze.
Inzwischen wird die G20 durch eine schleichende politische Krise gelähmt, die vor allem durch das Desinteresse der USA an multilateraler Kooperation befeuert wird. Gerade diese multilaterale Kooperation wäre aber notwendig, um die zunehmenden grenzüberschreitenden globalen Probleme – vom Klimawandel, über Steuerflucht, bis hin zu Protektionismus – zu lösen. Schlimmer noch, das Voranstellen enger nationaler Interessen durch die USA ermuntert andere zur Nachahmung. Erfolgreiche Kooperation zwischen den zwanzig wichtigsten Wirtschaftsnationen der Erde wird damit zunehmend schwerer. Dies ist die grundlegende Herausforderung, der sich die G20 während ihres nächsten Gipfels am 28. und 29. Juni 2019 in der japanischen Wirtschaftsmetropole Osaka stellen muss. Wie kann multilaterale Kooperation unter diesen Umständen aufrechterhalten werden?

Was von den letzten zwei Jahren Gipfeldiplomatie bleibt, ist der Rückzug auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Kooperationsbrüche konnten vermieden werden

Die letzten beiden G20-Gipfel, 2017 in Hamburg und 2018 in Buenos Aires, verliefen erstaunlich ruhig. Gründe hierfür sind unter anderem das diplomatische Geschick der deutschen Bundesregierung, aber auch das Zurückschrauben von Ambitionen, wie zum Beispiel während der argentinischen G20-Präsidentschaft.
Auch die vorgelagerten G7-Gipfel spielten dabei eine Rolle, indem sie die Wucht der US-Kritik abfingen und wichtige Kompromisslinien vorzeichneten. Der G7-Gipfel im italienischen Taormina im Mai 2017 war zwar von konfrontativen Diskussionen geprägt, konnte aber vor allem in den Bereichen Handels- und Klimapolitik Entscheidungen herausarbeiten, die auch im größeren Kreis der G20 bestätigt wurden. Der letztjährige G7-Gipfel im kanadischen La Malbaie zeigt dagegen, wie unberechenbar die US-Position mittlerweile ist. Die Gipfelbeschlüsse wurden überschattet von der Aufkündigung der Abschlusserklärung durch US-Präsident Donald Trump – und zwar per Twitter an Bord der Air Force One auf dem Weg zum nächsten Gipfel mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un.
Was von den letzten zwei Jahren Gipfeldiplomatie bleibt, ist der Rückzug auf den kleinsten gemeinsamen Nenner – wie zum Beispiel mit Blick auf den Handelsprotektionismus – oder die Suche nach Koalitionen der Willigen ohne die USA. Ein Beispiel hierfür ist der ambitionierte Klimaplan, der auf dem Hamburger Gipfel erarbeitet wurde, aber von den USA nicht mitgetragen wird.

Premierminister Shinzō Abe hat zum Beispiel die Themen Regulierung globaler Datenflüsse, Bekämpfung des Klimawandels und Reform der WTO als Prioritäten für den kommenden G20-Gipfel genannt.

G20 minus X ist nicht die Lösung

Für manche erscheint gerade die letzte Option geeignet zu sein, um auf die Kooperationsunwilligkeit der USA zu reagieren: Wenn die USA in kritischen Politikfeldern, wie zum Beispiel der Klimapolitik, nicht mitziehen, dann geht eben der Rest der G20-Staaten alleine voran. Diese Politik der zwei Geschwindigkeiten wird teilweise auch in der Europäischen Union (EU) (zum Beispiel in der Währungspolitik) oder der Welthandelsorganisationen (im Rahmen plurilateraler Abkommen) angewandt. Sie ist aber auch in diesen sehr viel stärker formalisierten Organisationen in der Kritik.
Angesichts der Tatsache, dass die G20, im Gegensatz zur EU oder der Welthandelsorganisation (WTO), weder ein offizielles Mandat, noch Verfahrensregeln oder ein Sekretariat hat – und somit sehr informell und ad hoc arbeitet – würde die breite Anwendung des G20-minus-X-Ansatzes der Erosion der Kooperationsbereitschaft weiter Vorschub leisten. Es kann dazu führen, dass auch andere Länder die Opt-out-Lösung wählen, wodurch die Notwendigkeit zur Einigung innerhalb der G20 verloren ginge. Zudem ist zu bedenken, dass die G20 bei der Umsetzung ihrer Entscheidungen auf die Unterstützung der internationalen Organisationen angewiesen ist. Ob aber beispielsweise die Weltbank, die traditionell von einem Amerikaner geleitet wird, einen Beschluss einer G19 ohne die USA umsetzt, ist mehr als fraglich.

Dr. Axel Berger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Ambitionierter Pragmatismus Japans

Die japanische G20-Präsidentschaft hat bisher einen sehr pragmatischen Ansatz gewählt, wartet aber durchaus mit ambitionierten Themen auf. In seiner Rede im Januar vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat Premierminister Shinzō Abe zum Beispiel die Themen Regulierung globaler Datenflüsse, Bekämpfung des Klimawandels und Reform der WTO als Prioritäten für den G20-Gipfel genannt. In der Praxis der Vorbereitungstreffen des Osaka-Gipfels, die eine Vielzahl von Arbeitsgruppen und Ministertreffen einschließen, wählen die japanischen Vorsitzenden aber oft einen nichtkonfrontativen Ansatz, der versucht, die Interessen der USA zu berücksichtigen. Dies mag nicht überraschen, denn auch die japanische Exportindustrie muss jederzeit fürchten, ins Fadenkreuz des Trumpschen Handelsprotektionismus zu geraten. Auch das Bespielen des nationalen Publikums mag eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Bemühungen um den Staatsbesuch von Präsident Trump zum Amtsantritt des neuen Kaisers Ende Mai zeigen.
Ob unter diesen Vorzeichen ambitionierte Gipfelbeschlüsse zu erwarten sind, die den wachsenden globalen Herausforderungen gerecht werden, ist fraglich. Zudem werden die Fahrwasser für die G20 in den nächsten Jahren sicher nicht ruhiger. Im kommenden Jahr leitet das international weitgehend isolierte Saudi-Arabien die Geschicke der G20, während die USA den Vorsitz in der G7 haben. Danach übernimmt 2021 das zurzeit populistisch und kooperationsavers regierte Italien den G20-Vorsitz. Im Jahr 2022 ist dann Indien an der Reihe, das zwar über diplomatisches Gewicht verfügt, aber in den vergangenen Jahren auch einen stärker nationalistischen Kurs eingeschlagen hat.

Stabilisierung internationaler Kooperation von unten

Vor diesem Hintergrund gewinnen gesellschaftliche Akteure wie Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Forschungseinrichtungen an Bedeutung. Im Kontext der G20 spricht man von „Engagement Groups“. Unternehmensverbände sind zum Beispiel in der Business20, Nichtregierungsorganisationen in der Civil20 und Forschungsinstitute und Thinktanks in der Think20 organisiert. Diese Gruppen verfolgen unterschiedliche Interessen und Ansätze. Geht es der B20 vor allem um Positionen aus wirtschaftlicher und unternehmerischer Perspektive, so stellt die C20 Entscheidungen der G20 mit Blick auf deren Auswirkungen auf schwächere Länder und marginalisierte Gruppen in den Vordergrund. Die T20 versteht sich dagegen nicht als Interessenvertretung, sondern will durch wissenschaftlich-fundierte Analysen zu einer besseren Entscheidungsfindung in der G20 beitragen.
Was diese unterschiedlichen Gruppen allerdings vereint, ist die Einsicht, dass die unterschiedlichen globalen Probleme nur durch mehr, nicht weniger, internationale Kooperation gelöst werden können. In den letzten beiden Jahren haben die B20, C20 und T20 zum Beispiel gemeinsam an die G20 appelliert, mehr für den Klimaschutz zu tun. Es braucht mehr von diesen Initiativen „von unten“, um die Dürrejahre, in denen sich die internationale Kooperation aktuell befindet, zu überbrücken.

Über den Autoren:

Dr. Axel Berger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und leitet die G20 Policy Research Group. Er ist Ko-Vorsitzender der Task Force zu Handel und Investitionen der Think20, einem Netzwerk von Think Tanks aus den G20-Ländern, die die G20 beraten.