Beim Globalen Flüchtlingsforum, das im Dezember 2019 in Genf stattfand, ging es auch um (erste) Erfahrungen bei der Umsetzung des GCR. Für eine erfolgreiche Umsetzung nachhaltiger Flüchtlingspolitik spielt die lokale Ebene, also Regional- und Lokalregierungen sowie Verwaltungen, neben zivilgesellschaftlichen Gruppen, eine zentrale Rolle. Sie ist für die Bereitstellung überlebenswichtiger Dienstleistungen und die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt und in Bildungsangebote zuständig. Auch wenn zum Forum mehr Flüchtlingsvertreter*innen eingeladen waren als je zuvor: Lokale Sichtweisen auf den Umgang mit Flucht waren im Programm des Forums dennoch unterrepräsentiert. Dies spiegelt eine generelle Problematik wider. Lokale Erfahrungen werden in globalen Politikforen noch immer zu wenig wahrgenommen und berücksichtigt.
Zentrale Rolle von Städten in Flüchtlingssituationen
Entgegen einer gängigen Wahrnehmung, dass sich Geflüchtete hauptsächlich in Camps aufhalten, spielen vor allem Städte und Kommunen als Zielorte eine wichtige Rolle. Viele Städte – insbesondere in Europa und Nordamerika – haben sich in den vergangenen Jahren in der Flüchtlingspolitik engagiert, wie etwa in Italien Anfang 2019, als Bürgermeister*innen gegen die restriktive Einwanderungspolitik des damaligen Innenministers Salvini Widerstand leisteten. In Deutschland setzen sich seit 2018 über 120 kleine und große sogenannte „Sichere Häfen“-Kommunen für eine schnelle und bürokratisch vereinfachte Aufnahme von aus Seenot geretteten Geflüchteten ein. Oftmals sind kommunale Verwaltungen und Bevölkerungen aber auch mit der an sie gerichteten Erwartung, Geflüchtete zu integrieren, überfordert oder stehen dieser ablehnend gegenüber. So betätigen sich lokale Behörden, Dienstleistungs- und private Unternehmen mittlerweile auch zunehmend in der Migrationskontrolle, etwa wenn sie den Zugang zu ärztlicher Versorgung oder Kinderbetreuung erst nach Feststellung des Einwanderungsstatus‘ gewähren.
Beim Thema Flucht erfahren Städte und Kommunen aus dem Globalen Süden besonders wenig Aufmerksamkeit von der globalen Politik. Dabei sind sie besonders betroffen, denn ein Großteil der Fluchtbewegungen verläuft zwischen Nachbarländern, die meisten davon im Globalen Süden. Dem UNHCR zufolge halten sich über 80 Prozent der Geflüchteten in Ländern des Globalen Südens auf. So suchen etwa laut einer Studie der Weltbank aus dem November 2019 die über 4,6 Millionen Menschen, die zwischen 2016 und 2018 aus Venezuela geflohen sind, hauptsächlich in den umliegenden Ländern Zuflucht. Dort halten sie sich vor allem in städtischen Räumen auf, in Peru beispielsweise im Ballungsraum Lima-El Callao. Fremdenfeindliche Mythen und Vorbehalte sind laut den Autor*innen der Weltbank-Studie das Haupthindernis für eine nachhaltige Integration der Geflüchteten. Entsprechend sei es dringlich, die lokale Bevölkerung und Entscheidungsträger*innen von den Vorteilen etwa für den lokalen Arbeitsmarkt zu überzeugen, so die Studie weiter.
Kenia: Pilotland des Globalen Flüchtlingspaktes
Überzeugungsarbeit über Vorteile der Integration im Sinne einer globalen Blaupause genügt allerdings nicht. Dafür sind die lokalen Voraussetzungen zu unterschiedlich. Interessenslagen lokaler Akteure müssen entsprechend konsequent – und ergebnisoffen – in die Politikgestaltung und Umsetzung einbezogen werden. Dies zeigt auch die vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und Bonn International Center for Conversion (BICC) durchgeführte Forschung zur lokalen Umsetzung des Flüchtlingspakts in Kenia. Der Großteil der Geflüchteten in Kenia (fast 500.000 Menschen) hält sich in einem der beiden großen Flüchtlingslager Kukuma und Dadaab im ariden Nordwesten beziehungsweise Nordosten des Landes auf. Ähnlich wie in anderen Ländern der Region leben sie räumlich abgeschieden und ohne Zugang zu nationalen Arbeitsmärkten, sozialen Dienstleistungen und Interaktionsmöglichkeiten mit der aufnehmenden Gesellschaft. Als Pilotland des Globalen Flüchtlingspaktes hat sich die kenianische Regierung jedoch dazu verpflichtet, die bislang strikte und von Sicherheitsbedenken geprägte Lagerpolitik zu lockern. Das Ziel ist es, die Eigenständigkeit und gesellschaftliche Integration der Geflüchteten zu stärken.
Eine Kernmaßnahme dafür bildet die Entwicklung der integrierten Pilotsiedlung Kalobeyei in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flüchtlingscamp Kakuma. Die Siedlung geht auf eine im Jahr 2014 initiierte Idee der Lokalregierung von Turkana zurück. Die im Zuge der Verfassungsreform in Kenia im Jahr 2010 eingeführte Dezentralisierung hatte den Handlungsspielraum lokaler Akteure in der bislang ausschließlich zentralstaatlichen Entwicklungsplanung erweitert. Die lokale Regierung hatte das Potenzial der Geflüchteten – sie haben teils einen höheren Bildungshintergrund und landwirtschaftliche Kenntnisse – für die lokale Entwicklung erkannt. Darüber hinaus sah sie die Anwesenheit der internationalen humanitären- und Entwicklungsorganisationen als vorteilhaft für die lokale Wirtschaft, auch über die Siedlungsgrenzen Kalobeyeis hinaus. Bei der lokalen Bevölkerung ist zwar umstritten, ob das Land, das sie für die Entwicklung der Siedlung Kalobeyei zur Verfügung gestellt hat, nur kurzzeitig an Neuankömmlinge verpachtet ist oder auf Dauer an diese vergeben wurde. Aber auch sie setzt darauf, dass alle gemeinsam von der Entwicklung profitieren können.
Kalobeyei ist im migrationspolitisch restriktiven Kenia bisher eine erfolgreiche Ausnahme. Die Siedlungsplanung sieht eine gemeinschaftliche Nutzung des Marktes, der landwirtschaftlichen Flächen und sozialer Einrichtungen durch die lokale Bevölkerung und die Geflüchteten vor. Im nahgelegenen Camp Kakuma ist der Kontakt zwischen der lokalen Turkana-Ethnie und den Flüchtlingen auf den Verkauf oder Tausch von Brennholz, Holzkohle oder anderen Waren beschränkt. In der Siedlung Kalobeyei fühlen sich Gruppendiskussionen zufolge die Angehörigen der Lokalbevölkerung dagegen als berechtigt, Anspruch auf Unterkunft, Schulbesuch oder Arbeitsstellen bei den nationalen und internationalen Hilfsorganisationen zu erheben.
Am Beispiel Kalobeyeis zeigt sich, dass die erfolgreiche Umsetzung globaler Flüchtlingspolitik wesentlich von Wahrnehmungen und Interessenslagen lokaler Akteure abhängt. Um den lokalen Stimmen mehr Gewicht zu verleihen, müssen Städte, Gemeinden und lokale Zivilgesellschaften daher stärker in die globalen Politikdiskurse und -prozesse eingebunden werden. Die Entwicklungspolitik kann dies unterstützen, indem sie etwa den Erfahrungsaustausch zwischen Kommunen aus dem Globalen Süden und Norden fördert. Auf lokaler Ebene greifen erstens gebietsbezogene Ansätze, die von kontextspezifischen Chancen und Herausforderungen ausgehen; zweitens Maßnahmen wie partizipative Siedlungs-, Flächennutzungs- und Infrastrukturplanung, die im Dialog geplant und durchgeführt werden; und drittens Capacity Building, das kommunale Verwaltungen beim Integrationsmanagement und der lokalen Dienstleistungsversorgung unterstützt.
Über die Autoren:
Eva Dick ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und arbeitet zu Migration, Flucht und Urbanisierung.
Markus Rudolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bonn International Center for Conversion (BICC) und arbeitet zu Konflikten, Flucht und Vertreibung.
Studien/ Studies
Dick, Eva & Rudolf, Markus. From global refugee norms to local realities: implementing the global compact on refugees in Kenya. Eva Dick / Markus Rudolf. Briefing Paper 19/2019 – German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)