„Der Wille kann Berge versetzen“. Die Berge, die Reinhard Müller versetzt hat, waren gigantisch: Der Architekt und Projektentwickler mit langjährigen Erfahrungen in der Denkmalpflege begann 2008 auf dem Gelände des stillgelegten Gasometers in Berlin-Schöneberg ein Modellquartier für die klimaneutrale, ressourcenschonende und intelligente Stadt von morgen zu entwickeln. Binnen weniger Jahre wurde aus einem 5,5 ha großen, wenig attraktiven, kontaminierten und sanierungsbedürftigen Areal ein innovatives Stadtquartier, in dem heute 5.500 Menschen in mehr als 150 Unternehmen, Institutionen und Startups arbeiten, rund um die Themenfelder Energie, Mobilität und Nachhaltigkeit.
Es ist die Kombination aus historischer Gebäudesubstanz und viel high-tech-orientierter Nutzung, die den ganz besonderen Charme des Geländes ausmacht. 1994 unter Denkmalschutz gestellt, wurden in den vergangenen 12 Jahren die historischen Gebäude des ehemaligen Schöneberger Gaswerks saniert und um neue Gebäude erweitert.
KEIN MUSEUM
So entstand ein Ensemble, das inhaltlich und gestalterisch an die historische Energiethematik anknüpft. Dabei wurde die Altbausubstanz nicht nur unter Aspekten des Denkmalschutzes, sondern auch der Energieeffizienz saniert. Es ist selbstverständlich, dass die Neubauten sämtlich als zertifizierte „Green Buildings“ realisiert wurden. Denkmalschutz im Sinne des Unternehmers Reinhard Müller kann nichts Statisches sein: Mit Fertigstellung des Areals im Sommer 2024 wird das Ziel des Landeskonservators von Mitte der neunziger Jahre erreicht sein, nämlich den dauerhaften Erhalt und die Erlebbarkeit eines denkmalgeschützten Areals, auf Basis eines wirtschaftlichen Konzeptes, das diesen Erhalt ermöglicht.
LEUCHTTURM VON SCHÖNEBERG
Das dominante Gebäude auf dem Campus ist natürlich der alte Gasometer von 1871. Er diente früher als Speicher für das sogenannte Stadtgas, das aus Kohle hergestellt wurde. Nicht nur bleibt dieses Monument einer vergangenen Energieepoche erhalten, vielmehr wird die markante äußere Stahlstruktur auf das ursprüngliche Erscheinungsbild zurückgeführt. Der eigentliche Clou aber ist die geplante Nutzung mit Büros und einem Konferenzzentrum. Dafür wird ein Neubau innerhalb des Stahlgerüstes, aber völlig unabhängig von diesem, realisiert, das ihn nicht einmal berührt. So wird beides erreicht: Eine sinnvolle Nutzung ohne Kompromisse, und ein denkmalgeschütztes Äußeres, das als Wahrzeichen des EUREF-Campus und als Leuchtturm-Objekt für den ganzen Stadtteil gelten darf.
KLIMANEUTRALES ENERGIE-KONZEPT
Ein „Europäisches Energieforum“ würde seinen Namen nicht verdienen, würden nicht die fortschrittlichsten Technologien für höchste Effizienz und CO2-Neutralität sorgen. Der Berliner Gasversorger GASAG betreibt auf dem EUREF-Gelände eine „Energiewerkstatt“, in der zwei Blockheizkraftwerke Wärme und Strom für das eigene Wärmenetz und zur Einspeisung in das Berliner Stromnetz erzeugen. Steht an wind- oder sonnenreichen Tagen überschüssiger Strom aus erneuerbarer Produktion zur Verfügung, kann damit in zwei Wassertanks sowohl Wasser erwärmt wie auch gekühlt werden. Mit dieser vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Power-to-Heat / Power-to-Cold-Technologie lässt sich Energie für den späteren Verbrauch, eben zum Heizen oder Kühlen, speichern. Auch für eine Stromspeicherung zur Netzstabilisierung ist gesorgt: Audi betreibt dafür eine sogenannte Second-Use Batterie. Die besteht aus 20 ausrangierten, zusammengeschalteten Batterien aus elektrischen Fahrzeugen und erreicht eine Kapazität von 1,9 Megawattstunden. Ein besonderes Highlight der Energiewerkstatt ist das sogenannte Eco-Tool: Künstliche Intelligenz zur Steuerung des Gesamtsystems. Hierfür liefern rund 1.000 Datenpunkte aus der Energiewerkstatt und den Gebäuden Informationen, welche Energie in welchem Gebäude wann verbraucht wird. Auch Wettervorhersagen und Energiemarktdaten fließen in die Berechnungen ein. Das alles ist absolut High-Tech, aber vielleicht am erstaunlichsten ist, dass diese Leistungen zu ganz normalen Energiepreisen geliefert werden können.
MASTERSTUDIEN ENERGIEWENDE
Ein Campus wie EUREF lebt durch seine großen und kleinen innovativen Unternehmen und Startups, die sich hier niedergelassen haben, um die einmalige Atmosphäre und auch den gegenseitigen Austausch zu nutzen. Die Deutsche Bahn, Schneider Electric, GASAG oder Arcadis sind dabei, viele Startups aus den Kompetenzfeldern Energie, Nachhaltigkeit und Mobilität, die Bundesverbände Windenergie und für Erneuerbare Energie, Organisationen wie die Energieagentur dena oder die Fraunhofer Energieforschung. Nicht zuletzt hat auch die Technische Universität Berlin die Chance ergriffen, die der EUREF-Campus für Austausch und Kommunikation bietet, und dort eine eigene Lehr-, Forschungs- und Beratungseinrichtung rund um die Transformationsprozesse von fossil basierten zu regenerativen Energiekonzepten gegründet. Neben Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen werden auch Masterstudiengänge zu Themen der Energiewende angeboten. Und abgerundet wird das Campus- Angebot auch für Besucher durch fünf Restaurants unter der gastronomischen Leitung von Sternekoch Thomas Kammeier sowie durch das Hotel im historischen Wasserturm.
Text Matthias Ginsberg / Publizistisches Büro Berlin