InterviewGender Pay Gap und andere Baustellen - Frauen in Deutschland

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ sagt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 3. Vor 75 Jahren war dieser Satz eine kleine Sensation, denn Deutschland war – ein paar Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – noch weitgehend patriarchalisch geprägt. Und heute? Die Kluft ist kleiner geworden. Aber noch längst ist nicht alles gut in Sachen Gleichberechtigung. Über die zahlreichen Baustellen hat das Diplomatische Magazin mit der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ekin Deligöz, gesprochen.

DM: Frau Deligöz, die Bundesregierung möchte Frauen den Weg in Führungspositionen erleichtern. Mit welchen Mitteln soll das erreicht werden?

Ekin Deligöz:
Frauen sind ebenso gut qualifiziert wie Männer. Dennoch sind sie in Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert. Trotz aller guten Argumente für diverse Führungsriegen ging es ohne gesetzliche Regelungen lange nicht voran. Die Führungspositionen-Gesetze mit festen Quoten und Vorgaben zur Mindestbeteiligung zeigen hingegen Wirkung: Sie haben dafür gesorgt, dass der Frauenanteil in Führungsebenen in der Privatwirtschaft kontinuierlich gestiegen ist. Bis Frauen allerdings auch in allen Vorständen vertreten sind, muss noch einiges geschehen. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran und nähert sich in den eigenen Unternehmen, Bundesgremien und der Bundesverwaltung Schritt für Schritt der 50%-Marke. Für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen braucht es aber mehr als gesetzliche Vorgaben: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Es braucht einen Kulturwandel in den Unternehmen. Wir müssen strukturelle Hürden abbauen, für Lohngerechtigkeit sorgen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Im Bundesfamilienministerium arbeiten wir deshalb mit den Ländern zusammen daran, für verlässliche Kinderbetreuung zu sorgen. Außerdem unterstützen wir mit einem Modellprojekt, dass die Möglichkeit von Führen in Teilzeit bekannter wird. Auch darin liegt großes Potenzial, Führungs- und Sorgeverantwortung zu vereinbaren – für Frauen und Männer. Auch die Unternehmen profitieren, denn es erhöht ihre Attraktivität als Arbeitgeber.

Frauen in Führungspositionen können als Vorbilder und Mentoren für jüngere Frauen fungieren [Photo © Freepik]


DM: Stichwort Kitaplätze: Den Mangel an Kinderbetreuungsplätzen in Deutschland haben jüngst auch führende Wirtschaftsverbände beklagt. Viele Frauen wollten ganztags arbeiten, könnten es aber nicht, weil Betreuungsplätze fehlen. Mit welchen Konzepten wollen Sie diesem Mangel begegnen?

Ekin Deligöz:
 Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen bereits seit Jahren dabei, die Kindertagesbetreuung bedarfsgerecht auszubauen und die Qualität in den Einrichtungen zu verbessern. Seit dem Jahr 2008 hat die Bundesregierung Förderprogramme im Umfang von 5,4 Milliarden Euro aufgelegt, aus denen mehr als 750.000 Plätze für Kinder bis zum Schuleintritt entstanden. Um die Qualität zu fördern, hat der Bund den Ländern in 2023 sowie 2024 jeweils rund 2 Milliarden Euro über das KiTa-Qualitätsgesetz bereitgestellt. Auch der Ausbau der Ganztagsplätze für Grundschulkinder wird vom Bund in Milliardenhöhe unterstützt. Wir machen also schon ganz viel, damit Eltern mehr und flexibler arbeiten können. Aktuell stehen wir vor allem vor der Herausforderung, den hohen Fachkräftebedarf in der Kindertagesbetreuung zu decken. Dafür hat das Bundesfamilienministerium unter Einbindung der Länder sowie eines breiten Kreises von Experten und Expertinnen eine "Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag" initiiert. Diese nimmt eine Bandbreite verschiedener Maßnahmen in den Blick, um Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung zu gewinnen und zu halten. Eine gute Betreuungsinfrastruktur für Kita- und Grundschulkinder ist ein Schlüssel dafür, dass mehr Frauen ihre Erwerbstätigkeit ausweiten können. Das Engagement des Bundes ist auch weiterhin gefragt.

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DM: Sowohl die Lohnlücke (Gender Pay Gap) zwischen Frauen und Männern in Deutschland ist anhaltend hoch (rund 20 Prozent) als auch der Gender Pension Gap, also die Unterschiede bei den Renten im Alter. Hier beträgt der Unterschied ganze 53 Prozent (!). Also Frauen verfügen im Alter nur über rund halb so viel an finanziellen Mitteln wie Männer. Was lässt sich gegen diese skandalösen Unterschiede tun?

Ekin Deligöz:
Auf den Punkt gebracht, sieht es so aus, dass Männer pro Stunde durchschnittlich 4,46 Euro mehr als Frauen verdienen. Der Gender Pay Gap ist ein komplexes Problem und deshalb gibt es auch nicht die eine einfache Lösung. Die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag zur ökonomischen Gleichstellung bekannt. Ich bin davon überzeugt, das ist nicht nur im Sinne der Geschlechterparität, sondern auch eine Frage wirtschaftlicher Vernunft. Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen im gleichen Umfang wie Männer erwerbstätig sein können, aber auch dafür, dass sie für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Dafür muss unbezahlte Sorgearbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird, fairer verteilt werden. Eine bedarfsgerechte Kindertagesbetreuung und flexible Arbeitszeitmodelle sind weitere wichtige Teile im Puzzle der Lösung. Und nicht zuletzt gilt es die Strukturen zu überdenken, damit es sich für Frauen lohnt, ihre Erwerbstätigkeit zu erweitern. Transparente Gehaltsstrukturen innerhalb von Unternehmen unterstützen Frauen dabei, ihren Anspruch auf gleichen Lohn besser durchzusetzen. Auch hier sind wir dran: Wir werden das Entgeltgleichheitsgebot stärken und arbeiten dazu mit Hochdruck an der bundesgesetzlichen Umsetzung der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie noch in dieser Legislaturperiode. Wenn wir den Gender Pay Gap reduzieren, brauchen wir damit langfristig auch den Gender Pension Gap ab.

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DM: Mädchen entscheiden sich immer noch häufig für stereotype Ausbildungen. In den MINT-Berufen, also Berufe, die mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu tun haben, haben Frauen zwar leicht aufgeholt (knapp 11 %), aber von einer Gleichstellung ist das noch weit entfernt. Und der Anteil der Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen und keine Berufsausbildung machen, ist dramatisch gestiegen. Beides sind nicht nur Themen für die Bildungspolitik, sondern berühren auch die Bereiche Familie, Sozialpolitik, Fachkräftemangel usw. Wäre nicht auch eine „Zeitenwende“ für eine gemeinsame Familien- und Bildungspolitik notwendig?

Ekin Deligöz:
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist ein Gesellschaftsministerium, mit dem Ziel, die Menschen in Deutschland in all ihrer Vielfalt zu unterstützen und unsere demokratische Gesellschaft zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Veraltete Geschlechterstereotype beeinflussen leider immer noch, wem die Zuständigkeit für den Haushalt zugeschrieben wird, und wem die Führungskompetenz oder das Technik-Know-how. Wir wollen, dass sich junge Menschen nach persönlichen Interessen und Stärken für einen Beruf oder ein Studienfach entscheiden können und ihnen alle Möglichkeiten offenstehen. Dazu müssen wir ihnen berufliche Wege jenseits von Klischees aufzeigen. So versuchen wir einerseits, mehr junge Frauen für MINT-Berufe zu begeistern. Andererseits ist uns bewusst, dass auch junge Männer bei ihren Berufsentscheidungen durch Geschlechterklischees eingeschränkt werden. Dafür fördern wir unter anderem seit 2016 die Initiative Klischeefrei. Diese Initiative ist ein Bündnis von Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Bildung und Ausbildung, Politik, Wirtschaft und Forschung. Sie setzt sich dafür ein, dass die Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees getroffen wird. Mehr als 620 Partnerorganisationen bestätigen den Erfolg und den Bedarf nach dieser Initiative. Zudem unterstützen wir weiterhin die Aktionstage Girls’Day und Boys’Day, damit sich Jugendliche frühzeitig breit orientieren können.

DM: Frau Deligöz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Interview Marie Wildermann