Gipfeltreffen der Weltmarktführer 2020 Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung

Andreas Ronken, Vorsitzender der Geschäftsführung der Alfred Ritter GmbH, entführte die Teilnehmer in die Schokoladenwelt. Die größte Tochtergesellschaft des Herstellers quadratischer Schokolade, global an dritter Stelle, befindet sich übrigens – trotz mancher Schwierigkeiten – in Russland. Ein wichtiger Schritt in der Nachhaltigkeit geschah 2012 mit dem Erwerb einer eigenen Plantage in Nicaragua, wo heute mit 400 Mitarbeitern jährlich 60 Millionen Früchte geerntet werden. „Wir wollen die Verantwortung für die gesamte Lieferkette übernehmen ohne Brandrodung, ohne Kinderar- beit und mit fairen Bedingungen für die Arbeitnehmer“, so Ronken. Insbesondere die jüngere Generation möchte heute wissen: Wie wird das gemacht? Wo kommt das her? Es sind Fragen, die Unternehmen heute beantworten müssen.

Diese und ähnliche Feststellungen decken sich mit Überlegungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zu einer möglichst verbindlichen Regelung von Unternehmensverantwortung in der Lieferkette. Das sogenannte Lieferkettengesetz soll deutsche Unternehmen, die im Ausland produzieren lassen, dazu zwingen, dort für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Es soll im besten Fall Kinderarbeit verhindern, Existenz sichernde Löhne garantieren und Umweltschäden vermeiden. Für Menschenrechtsorganisationen ist das Projekt ein wichtiger Schritt für mehr Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt. Ein Referentenentwurf ist in Vorbereitung. In Frankreich gilt seit 2017 eine entsprechende Regelung.

Carola von Schmettow (r.), Sprecherin des Vorstands der Großbank HSBC, im Gespräch mit Kristin Rau, stellvertretende Ressortleiterin im Bereich „Innovation & Erfolg“ der WirtschaftsWoche

Auch für Geldhäuser spielt Nachhaltigkeit eine größere Rolle. „Was ist, wenn auf dem wichtigsten Markt der Welt, in China, bestimmte Verbrennungsmotoren nicht mehr zugelassen werden?“, fragt Carola von Schmettow, Sprecherin des Vorstands der Großbank HSBC. Die Bankenregeln verlangen heute, auch bei der Finanzierung von Unternehmen stärker auf die Nachhaltigkeit der Produkte zu achten – Teil des Risikomanagements. Wer sich nicht auf den grünen Weg begibt, wird es in Zukunft bei der Finanzierung schwerer haben. „Sustainable Finance“ ist Auftrag der Aufsichtsbehörden, ein entsprechender Beirat wurde beim Bundesfinanzministerium eingerichtet.

Per Ledermann, CEO der edding Group

Mehr Frauen in die Führungsetage

In Deutschland ist heute jeder Vierte vom Export abhängig, insgesamt 11,2 Millionen Arbeitnehmer. Hinzu kommen die Aktivitäten und Mitarbeiter deutscher Tochtergesellschaften im Ausland. Die wirtschaftliche Verschiebung nach Osten setzt sich unverändert fort. Im Jahr 2050 könnten Indien, Vietnam und Bangladesch die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften sein. Die Globalisierung wird ruppiger, die Großen setzen ihre eigenen Regeln, insbesondere die USA, und die Welthandelsorganisation schwächelt. Es gibt Schätzungen, nach denen in Deutschland 2030 vier bis fünf Millionen Fachkräfte fehlen werden. Die Babyboomer gehen demnächst in Rente, die nächste Generation lebt bereits, der künftige Bestand ist also bekannt – zahlenmäßig auf niedrigem Niveau. Wir brauchen Zuwanderung, um die Wirtschaftskraft aufrechtzuerhalten. Wir brauchen auch eine stärkere Einbeziehung weiblicher Fachkräfte, oft ist es noch so, dass Frauen erst befördert werden, wenn sie schon etwas erreicht haben, bei Männern genügt das Potenzial.

Malaika Mihambo (l.), Weltmeisterin im Weitsprung in Doha vergangenes Jahr und „Sportlerin des Jahres“ in Deutschland, mit Varinia Bernau, Leiterin des Ressorts „Innovation & Digitales“ bei der WirtschaftsWoche

Interessante Einblicke gab auch Malaika Mihambo, Weltmeisterin im Weitsprung bei den Weltmeisterschaften in Doha vergangenes Jahr und „Sportlerin des Jahres“ in Deutschland. Sie berichtete in sehr ruhiger, fast schon zurückhaltender Form von ihrem Masterstudium in Umweltwissenschaften und vom Auf und Ab ihrer Karriere. In Doha hatte sie drei Versuche: Der erste war zu kurz. Der zweite ungültig. Sie stand davor, als gescheiterte Favoritin vom Platz zu gehen, als ihr mit 7,30 Metern ein phänomenaler Sprung gelang. „Will man Erfolg haben, muss man in sich selbst hineinhören, in sich selbst ruhen. Auch im Wettkampf habe ich meditiert“, so die sympathische Sportlerin. Es war unter den rund 500 Zuhörern mucksmäuschenstill, vielleicht dachten einige der doch gut 80 Prozent männlichen Manager an die Chancen, die weibliche Manager und Menschen mit Migrationshintergrund auch in Führungsetagen bieten. Der Mittelstand hängt da noch hinterher, wir müssen offener werden, wollen wir global erfolgreich bleiben.

Neue Wege der Mobilität kommen aus einer doch relativ unbekannten Richtung: Seilbahnen als ein Verkehrsmittel der Zukunft? Hilfe aus der Luft für überfüllte Städte? In La Paz, der Hauptstadt Boliviens, betreibt die Firma Doppelmayr mit Sitz im österreichischen Wolfurt bereits heute zehn Linien mit 30 Kilometern Länge, die im Schnitt 300.000 Nutzer am Tag befördern. Linienbusse konnten damit zum Teil eingestellt werden, der Antrieb ist elektrisch, um die Seilbahnstationen entwickelte sich neues Leben. In La Paz befindet sich damit heute das weltgrößte urbane Seilbahnnetz. Ähnliche Projekte finden sich unter anderem in Bogotá, London und Portland. Auch in Mexiko-Stadt sollen bald Seilbahnen den Metroverkehr ergänzen, Planungen hierzu liegen vor. Vor dem Hintergrund der weiter fortschreitenden Urbanisierung stellte Thomas Pichler, CEO von Doppelmayr, die Seilbahn als ressourcenschonende Mobilitätsalternative in großen Städten vor. 5.000 bis 6.000 Menschen können derzeit maximal pro Stunde in einer Seilbahn transportiert werden, die Fertigstellung ist innerhalb von 18 Monaten möglich.

Klima, China und Gaia

Wirtschaft trifft Politik. Die gegenseitige Beeinflussung war auf der Veranstaltung spürbar, auch wenn Wirtschaftsvertreter des Mittelstands das politische Umfeld nicht aus persönlicher Priorität suchen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer warnte am Beispiel des umstrittenen Kohlekompromisses, die Klimafrage dürfe nicht zu einer Spaltfrage der Gesellschaft werden. Sie gab ein klares Bekenntnis zum Verbrennungsmotor und zum Diesel. Bewahrung der Schöpfung und Umweltschutz seien aber auch Teil des „C“ im Parteinamen.

Krisen im Außenbereich berühren inzwischen auch die Innenpolitik, hier sei nur auf die unterschiedlichen Positionen zur Einbeziehung des chinesischen Tech-Giganten Huawei in Europa verwiesen. Während eine Position vor der Abhängigkeit von der chinesischen Kommunistischen Partei warnt und strikt gegen eine Beauftragung ist, fordern andere weniger einschränkend, dass wir unsere Sicherheitsstandards setzen und diese erfüllt werden müssen. Zu Letzterem tendiert die EU-Kommission. Der chinesische Anbieter soll zugelassen werden, aber mit Einschränkungen. Damit folgt die EU dem Beispiel Großbritanniens, was auch amerikanische Vorstellungen erfüllen dürfte. Vielleicht mildert diese Sicht auch mögliche Konflikte im Vorfeld des geplanten EU-China-Gipfels während der anstehenden deutschen Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juni.

Einwanderung? Laut Kramp-Karrenbauer sind wir schon lange ein Einwanderungsland, was gut ist, da wir Fachkräfte auch aus dem Ausland benötigen. Lange Zeit waren Regelungen hierzu umstritten, am 1. März tritt das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Dies ermöglicht qualifizierten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten den geregelten Weg nach Deutschland. Beruflich qualifizierte Fachkräfte können danach in Deutschland arbeiten und leben, wenn sie einen Arbeitsplatz und ausreichend nachgewiesene Deutschkenntnisse vorweisen können. Die im vergangenen Jahr vorgestellte Industriestrategie 2030 ist überarbeitet und wurde nun auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Bundesverband der Industrie (BDI) unterstützt. Ein weiteres Projekt liegt Peter Altmaier, dem deutschen Minister für Wirtschaft und Energie, besonders am Herzen: „GAIA-X“, die geplante europäische Cloud, die der EU der nächsten Generation die digitale Souveränität in der Dateninfrastruktur zurückgeben soll. 150 Unternehmen würden sich europaweit an der Entwicklung beteiligen, die Realisierung erscheint aber noch als langer Weg.

Einen Tipp für Start-ups gab Per Ledermann, CEO der edding Group, Marktführer in Filzschreibern und gerade dabei, das erste firmeneigene Tattoo-Studio in Hamburg zu eröffnen: „Wenn du etwas Neues voranbringen willst und du nicht mehr kannst, hast du erst zwei Prozent der notwendigen Kommunikationsleistung erbracht! Wie behält man den langen Atem? Mit dem Wissen, dass das Produkt gut ist.“

Über den Autor

Ferry Wittchen ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer im Raum Stuttgart. Er berät insbesondere mittelständische Unternehmen im Rahmen der Internationalisierung.