HANDELSSTREIT "Dear Mr. President" - Der politische Kuss

Die Welt schaute etwas überrascht auf dieses schnelle und grundsätzlich positive Ergebnis mit ausgerechnet einem der höchsten Vertreter der Europäischen Union, einer der Institutionen, deren Existenz der US-amerikanische Präsident ablehnt. Zum Abschluss erhielt er von „Jean-Claude“ das anscheinend obligatorische Küsschen auf den Nacken. Manch einer wird solche Dinge, wie auch dieses doch sprunghafte Ergebnis der Gespräche, verwundert aufnehmen.

Wohl ziemlich treffend beschrieb der im Sommer zurückgetretene britische Außenminister und klare EU-Gegner Boris Johnson das Vorgehen Trumps: „Er würde verdammt hart reingehen. Es gäbe alle möglichen Zusammenbrüche, es gäbe alle Arten von Chaos, jeder würde denken, er sei verrückt geworden. Aber man könnte etwas erreichen.

Diese Sprunghaftigkeit an höchster politischer Stelle ist aus Sicht politischer Führer in Europa schwer zu ertragen, ebenso wenig in China, wo gegenseitige Verlässlichkeit einen hohen Rang einnimmt. Der amerikanische Präsident geht einen gefährlichen Weg: Permanente Überraschungen können auch in Langweile enden, mit dem Ergebnis, eben nicht mehr ernst genommen zu werden. Die Einigung mit Jean-Claude Juncker beruht auch auf inneramerikanischem Druck verschiedener mächtiger Senatoren und unter anderem der Agrarindustrie, die erheblich unter den Exportrückgängen von Sojabohnen nach China leidet.

Klipp und klar formulierte es ein Senator aus dem US-Bundesstaat Nebraska: „Unsere Farmer wollen Geschäfte machen und keine Subventionen beziehen.“ Damit brachte er auch seine Ablehnung gegenüber dem geplanten 12-Milliarden-Dollar-Subventionsprogramm der US-Administration für die Landwirte des Landes zum Ausdruck.

Wahrscheinlich wird die Mehrheit der Trump-Anhänger ihm seine Eskapaden und Sprunghaftigkeit verzeihen. Allerdings möchte ein US-Farmer auch keine Überraschungen im Geldbeutel spüren, da hört der Spaß auf. Es gehört aktuell zum Showbusiness der amerikanischen Politik, dem Präsidenten seine Eskapaden zu lassen – ich bezweifle, dass ein Großteil seiner Wähler weiß, wo Nordkorea liegt –, allerdings soll er das bitte ohne persönliche Benachteiligung des Wählers machen. Das Prinzip „Checks and Balances“, die Ausgewogenheit demokratischer Institutionen, ist eher nicht so seine Sache, der amerikanische Präsident ist auch aufgrund seiner persönlichen Entwicklung eher Autokrat. Daher fällt ihm der entsprechende Umgang mit Autokraten augenfällig leichter als mit Menschen wie Angela Merkel oder Theresa May. Auf seiner Reise nach Polen im vergangenen Juli sprach Donald Trump zwar von der Herrschaft des Rechts, aber nicht von der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz.

Europe United

Das grundsätzliche Problem ist nicht die angebliche Schwäche der USA („Make America Great Again“), sondern ihre Stärke, sowohl in wirtschaftlicher als auch militärischer Sicht. Diese Stärke spielt Trump gnadenlos aus, gegenüber Europa, gegenüber China, beide in Teilen abhängig von Exporten in die USA. Respekt ist für den US-Präsidenten kein innerer Wert, sondern beruht auf Macht und Stärke; Schwäche wird genutzt zum eigenen Vorteil. Große Organisationen wie die EU oder die Welthandelsorganisation (WTO) auf der anderen Seite mag er nicht, sie könnten ja widersprechen. Dass so manche Ineffizienz dort vermindert werden muss, ist ein anderes Blatt. Deswegen die „Deals“ mit einzelnen Ländern, diese werden sich der Ansicht des großen Bruders eher fügen. Wie soll sich ein Land wie beispielsweise Polen oder Ungarn allein gegen die USA durchsetzen? Bei Deals mit Amerikanern verliert der Schwächere, brutal ausgedrückt, aber oftmals ist das so einfach.

Deshalb müsste ein Ziel eines vereinigten Handelns der EU sein, inneramerikanische Schwächen auszunutzen. Gedanklich ist das nicht immer schön, aber die Folge einer im Wesentlichen auf Macht ausgerichteten Politik der jetzigen US-Regierung. Donald Trump übt Druck aus und wird leider nur auf Gegendruck reagieren. Unsere Antwort auf „Amerika zuerst“ muss daher „Europa vereint“ lauten. Die Vereinigten Staaten müssen wahrnehmen, dass ihre gegenwärtige Politik zu einer auch für sie unangenehmen Isolierung führt.

Das mit Japan Mitte Juli unterzeichnete Freihandelsabkommen mit der EU (JEFTA) und die Ergebnisse des 20. EU-China- Gipfels in Peking zeigen, wie die EU umfassend und schnell auf die veränderte weltpolitische Lage reagiert. An der Unterzeichnungszeremonie in Tokio nahmen der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker teil. Der seit 2013 vorbereitete Pakt soll Zölle und andere Handelshemmnisse abbauen, um das Wachstum anzukurbeln. Abe sprach von einer „historischen Errungenschaft“. Japan und die EU würden die Führung „als Fahnenträger des freien Handels“ übernehmen. Ziel ist es, dass das Handelsabkommen Ende März nächsten Jahres, wenn die Briten die EU voraussichtlich verlassen, in Kraft tritt. „Das ist ein hoffnungsvolles Signal in einer für den Welthandel sehr schwierigen Zeit“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. Auch mit China gibt es bei teils seit Jahren festgefahrenen Handelsfragen Fortschritte. Seit drei Jahren gab es erstmals Einigkeit über eine gemeinsame Erklärung am Ende des aufgeführten Gipfels, die die strategische Partnerschaft beider Seiten bekräftigt. Die „EU und China sind zwei Kräfte der Stabilität“, sagte Chinas Premierminister Li Keqiang nach den Gesprächen.

Kein Verlass mehr

Im Gegenzug dazu darf man auf den zu erwartenden Handelsvertrag der USA mit Großbritannien nach dem EU-Austritt gespannt sein. Wie titulierte die Financial Times im Frühsommer: „Auf die USA ist kein Verlass mehr“. Und natürlich müssen wir abwarten, wie sich die im Sommer getroffene, grundsätzliche Einigung mit der EU im kommenden November final darstellt.

Gleiches gilt für den militärischen Bereich: Europa, und gerade Deutschland, fehlt eine von den USA losgelöste Strategie. Diese war bisher auch nicht notwendig. Was aber, wenn der „Westen“ in Teilen zerfällt? Will Deutschland Montenegro verteidigen? Wahrscheinlich bedarf es hier einer erneuerten „Realpolitik“, darin kennt sich unser Land doch aus. Frieden schaffen mit mehr Waffen? Dies ist schwer vorstellbar, aber die US-Regierung – und das ist eine sehr klare Position – fordert höhere Gegenleistungen im Gegenzug zur Gewährleistung des atomaren Schutzschildes. Sicherheit kostet. Mache es selbst oder zahle.

Die Erfüllung der zugesagten Quote von jährlich zwei Prozent des Bruttosozialproduktes für Aufwendungen im militärischen Bereich ist hier nur ein Punkt. Nach Angaben der NATO erreichten die weltweiten Militärausgaben 2017 mit 1.740 Milliarden Dollar (!) den höchsten Punkt seit Ende des Kalten Krieges, davon über 900 Milliarden von NATO-Mitgliedern. Natürlich ist das Verhalten Russlands auf der Krim, in der Ostukraine und auch in Syrien nicht vereinbar mit den Werten und Vorstellungen unserer Politik, aber die Militärausgaben Russlands mit geschätzt 66,3 Milliarden Dollar im Jahr 2017 sind geringer als die Ausgaben der USA mit 610 Milliarden, auch wenn hier Unterschiede im Lebensstandard und damit den Preisen berücksichtigt werden müssen.

Die Frage, wer hier wen in die Enge treibt, darf gestellt werden.

 

Über den Autor:

Ferry Wittchen ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer im Raum Stuttgart. Er berät insbesondere mittelständische Unternehmen im Rahmen der Internationalisierung.