Hannover Messe 2019 Innovation und Zusammenarbeit

Auch in diesem Jahr zog es deshalb wieder viele Diplomatinnen und Diplomaten in die niedersächsische Hauptstadt, um die neuesten Trends und Technologien in der Industrie 4.0 mit eigenen Augen und Ohren zu entdecken. Unter dem diesjährigen Motto „Integrierte Industrie – Industrielle Intelligenz“ präsentierten mehr als 6500 Aussteller aus 75 Ländern fünf Tage lang sich und ihre Entwicklungen, darunter etablierte Unternehmen und innovative Start-ups.  
Zum diesjährigen Botschafter-Rundgang hatten erneut die Deutsche Messe AG und das Auswärtige Amt eingeladen. Auf dem riesigen Messegelände traf man sich in der Hermes-Lounge, wo Wolfgang Lenarz, Senior Vice President Global Fairs, und Andrej Gross, Director Government Affairs, die Gäste im Namen der Deutschen Messe begrüßten. Vonseiten des Auswärtigen Amts hieß der „Digitalbotschafter“ Dr. Hinrich Thölken die angereisten technikaffinen Diplomatinnen und Diplomaten willkommen. Ein kurzes Briefing zur Tour gab es noch von Claudia Grüne von Germany Trade & Invest (GTAI), der deutschen Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing. Und dann ging es auch schon los.

Die teilnehmenden Diplomatinnen und Diplomaten des Rundgangs auf der Hannover Messe 2019
Dr. Hinrich Thölken, Sonderbeauftragter für Internationale Digitalisierungspolitik und digitale Transformation im Auswärtigen Amt
Professor Philipp Slusallek, Wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für KI, präsentiert die Forschungs-Initiative CLAIRE.
Gemeinsam mit Broetje-Automation und anderen Partnern stellte das DFKI einen Forschungsdemonstrator für hybride Fertigungsszenarian im Flugzeugbau vor.
Fraunhofer-Forscher Professor Jens Lehmann stellt smarte Sprachassistenten vor.

Erst die Moral, dann das Forschen

Deutschlands KI-Strategie beinhaltet im bedeutenden Maße kulturelle Aspekte. Wissenschaftliche Forschung, der Transfer ihrer Ergebnisse zur Unternehmenswelt und der Rahmen für einen vertrauenswürdigen, ethisch vertretbaren Einsatz von Artificial Intelligence spielen eine gesonderte Rolle im internationalen Wettbewerb der neuen Technologien. Immerhin stehen wir noch relativ am Anfang der Entwicklung. So verwundert es dann auch nicht, dass der erste Halt des Rundgangs zum Stand des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) führte. Das weltweit renommierte DFKI, so Professor Philipp Slusallek, wissenschaftlicher Direktor am DFKI, bildet in erster Linie Forscher und KI-Experten aus, die Methoden entwickeln, um zu erklären, wie komplizierte KI-Systeme funktionieren. Slusallek ist zudem Mitinitiator von CLAIRE (Confederation of Laboratories for Artificial Intelligence Research in Europe). Zur besseren Vernetzung der europäischen Forschungsstätten wurde die Initiative CLAIRE ins Leben gerufen, sie bringt Stakeholder aus Forschung, Industrie, Politik und Gesellschaft in Europa zusammen und bindet sie ein in die Diskussion über neue Forschungsthemen, Technologien und Lösungen.   
Auch das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) forscht intensiv im Bereich künstlicher Intelligenz. Jens Lehmann – nein, der andere – ist Lead Scientist am IAIS und zugleich Professor für Data Engineering am Institut für Informatik der Universität Bonn. Er stellte sprachgesteuerte Dialogsysteme für den Einsatz in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und Industrie, wie zum Beispiel in der Automobilproduktion, vor. Roboter mit Sprachassistenten würden mithilfe von maschinellem Lernen eine intuitive Interaktion zwischen Mensch und Maschine erleichtern können und dem Kunden völlig neue Dienstleistungen anbieten, so Lehmann. Auf der Hannover Messe präsentierte das IAIS in Kooperation mit Volkswagen einen ersten Forschungsprototyp vor, der Fragen zu bestimmten Interessensschwerpunkten beantworten kann.

Veronika Pfister (M.), Senior Consultant Government Affairs bei Siemens, über die Digital-Enterprise-Angebote des Konzerns
Ein Bild, viele neue Technologien: Beim Stand von Siemens konnte man ein ganzes Portfolio von digitalen Lösungen erleben.
Diesen Bildschirm steuert man bei SAP mit den Augen.
Beim Stand von SAP wurde der Digital Factory viel Platz gegeben.

Die digitale Fabrik

CEO Joe Kaeser persönlich begleitete die Bundeskanzlerin und den schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven am Eröffnungstag der Messe über den imposanten Stand von Siemens. Nun konnte sich auch die Diplomaten-Gruppe ein Bild von der Bandbreite der Lösungen und Produkte des deutschen Technologiekonzerns machen. Mit seinem „Digital-Enterprise-Lösungsportfolio“ verbindet Siemens die reale und die virtuelle Welt. Vor Ort erstellt Siemens digitale Zwillinge, sammelt Daten, wertet sie in der IoT-Plattform „Mindsphere“ aus, plant, trackt, simuliert, modelliert neu, steuert Industrieroboter fern, fertigt 3D-Drucke an, widerruft die Pläne, sammelt neue Daten – alles gleichzeitig, alles in nicht vorstellbarer Anpassungsgeschwindigkeit und Flexibilität. Die vierte industrielle Revolution ist schwindelerregend und absolut faszinierend zugleich. Wahrscheinlich spricht man deshalb bei der industriellen Fertigung mittlerweile von digitalen Ökosystemen.     
Ein paar Hallen weiter hing es da plötzlich, das Objekt der Begierde, über das sich in Deutschland derzeit viele Netzanbieter gegenseitig die Haare ausreißen: der neue Mobilfunkstandard 5G. Für die vernetzte Produktion ist die Verarbeitung gewaltiger Datenmengen erforderlich. Wer sich morgens im Zug von Berlin nach Hannover noch mit ein, zwei LTE-Balken zufriedengeben musste, sah beim SAP-Stand nun eine kleine weiße Box mit einem 5G-Symbol. Hier in der „Open Integrated Factory“ wirkte die Technik mit geringer Latenz bereits. In der digitalen Fabrik des Softwareherstellers glitten mobile Roboter kabellos von einer Montageecke zur anderen, angetrieben von mehreren Gigabits pro Sekunde. Ja, das komplette Gelände der Hannover Messe war dieses Jahr dank der Unternehmen Nokia und Qualcomm ein 5G-Testfeld. Kommendes Jahr soll die Industrieschau dann zum „Smart Venue“, dem ersten 5G-Messegelände der Welt werden.

Kristof de Werdt, Produktingenieur bei Arkite, stellt den "Human Interface Mate" vor.
Die Geschäftsträgerin a. i. der jamaikanischen Botschaft Keisha Kal Witter probiert den Senseglove an.
Dr.-Ing. Sebastian Quednau, CTO und Geschäftsführer bei NanoWired, während der Produktvorführung
Treffen mit dem schwedischen Botschafter S.E. Per Thöresson (M.) im „Sweden Co-Lab“-Pavillon

Die jungen Wilden

Jede Menge Euphorie brachten zum Ende der Führung die Aussteller der Young Tech Enterprises der Diplomaten-Delegation entgegen. In diesem Messebereich machen junge dynamische Start-ups mit ihren Produkten und Projekten auf sich aufmerksam. Der belgische Tech-Pionier Arkite etwa präsentierte ein neuartiges Bedienerführungssystem namens „Human Interface Mate“. Über eine 3D-Objekterkennungstechnologie gibt die Software dem Mitarbeiter live Montageanweisungen und Orientierungshilfen und warnt bei manuellen Fehlern vor. Mit VR-Headset und Datenhandschuh imponierte das niederländische Start-up Senseglove. Der haptische blaue Kunststoffhandschuh simuliert über Sensoren das Greifen virtueller Gegenstände. Nanowired, ein Unternehmen aus Gernsheim, gewann auf der Hannover Messe den diesjährigen Hermes Award. Vergessen Sie Kleben und Löten: Mit dem „KlettWelding Tape“ lassen sich Elektronikbauteile mittels umweltfreundlicher Nanodrähte dauerhaft stabil verbinden.
Im „Sweden Co-Lab“-Pavillon trafen die Diplomatinnen und Diplomaten schließlich den schwedischen Botschafter S.E. Per Thöresson für einen kurzen Plausch. Schweden, dessen Messeauftritt mit 150 heimischen Ausstellern im Zeichen von Zusammenarbeit und Innovation stand, war diesjähriges Partnerland der selbsternannten Weltleitmesse für Industrie. Im Anschluss wurden dann innovative Lösungen in den Bereichen Automation, Elektrifizierung, Antriebstechnik und Robotik der schwedischen Firma ABB vorgestellt. Während der Messetage stellte ABB übrigens gemeinsam mit Volvo den Besuchern emissionsfreie Shuttlebusse zur Verfügung. Nach Besuchen der Stände von Bosch Rexroth (Antriebs- und Steuerungstechnologien) und Porsche Engineering (zuständig für alle Entwicklungsprojekte des Automobilherstellers) ging es dann auch mit einem dieser geräuschlosen Vehikel zurück in die Hermes-Lounge.
China und die USA, aber auch Indien, Israel und Japan investieren gerade Milliarden in die KI-Entwicklung. Deshalb betonte Bundeskanzlerin Merkel bei der Eröffnung der Hannover Messe auch, dass man europäische Antworten für die künftige Industriepolitik brauche. Mit dem Vorbild der Skandinavier und dem Besuch in Hannover lässt sich eines festhalten: Die Kraft liegt in der Zusammenarbeit, so oder so.

Markus Olofsson Carlbom (l.), Produktmanager bei Piab, demonstriert einen Vakuum-Greifer.
Die Schnellladesäule von Porsche Engineering mit Touchdisplay und elegantem Design
Am Sportwagen Porsche 919 Hybrid haftet der originale Pistenschmutz vom 24-Stunden-Rennen von Le Mans.
Harald Schürk von Bosch Rexroth zeigt, wie die Fabrikautomation der Zukunft aussieht.

TEXT Enrico Blasnik