Interview mit dem Botschafter von Kroatien S.E. Gordan Bakota „Ich glaube, dass wir in diesen schwierigen Zeiten erkennen, was wahre menschliche Werte und Solidarität sind“

DM: „Halten Sie Distanz. Stellen Sie sich nicht zusammen. Wir sind mit zwei schweren Krisen konfrontiert, dem Erdbeben und der Epidemie“, sagte Innenminister Davor Božinović im Zusammenhang mit dem Corona-Virus und dem schwersten Erdbeben in Kroatien seit mehr als 100 Jahren. Wie bewältigt Ihr Land diese Krisen?

Dubrovnik

S.E. Gordan Bakota: Zusätzlich zur bestehenden Coronavirus-Krise wurde Zagreb am 22. März 2020 von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Der materielle Schaden ist sehr groß, am meisten wurde die historische Innenstadt betroffen. Glücklicherweise gab es nicht viele Todesopfer. Zagreb ist meine geliebte Stadt, meine Familie lebt dort, daher war es für mich nicht einfach, aus Berlin die Ereignisse in Zagreb zu verfolgen. Kroatien hat das EU-Katastrophenschutzverfahren aktiviert, mehrere Länder haben sofort ihre Bereitschaft gezeigt und Hilfe sichergestellt, sogar Italien, das aufgrund der Coronavirus-Epidemie selbst schwierige Zeiten durchmacht, schickte Zelte und Menschen. Von überall bekommen wir Anteilnahme ausdrückende Nachrichten. In der Bevölkerung gibt es viele wunderbare Geschichten über Gemeinsamkeit, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung. Viele opfern sich selbstlos. Das ist beeindruckend. Ich glaube, dass wir in diesen schwierigen Zeiten erkennen, was wahre menschliche Werte und Solidarität sind, was mir auch Hoffnung gibt, dass wir stärker, rücksichtsvoller und einheitlicher aus dieser Krise hervorgehen werden.

DM: Seit Januar hat Ihr Land seine erste EU-Ratspräsidentschaft inne. Der Brexit, der European Green Deal oder der neue Haushaltsplan sind gerade die großen Themen, die Brüssel umtreiben. Welche anderen konnte und will Kroatien auf die Tagesordnung setzen?

Pula

S.E. Gordan Bakota: Die kroatische EU-Ratspräsidentschaft begann in der Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen für die EU und ihre Mitgliedstaaten. Wir waren der Ansicht, dass diese Herausforderungen nur durch gemeinsames Handeln angegangen werden können. Deshalb haben wir als Motto „Ein starkes Europa in einer Welt voller Herausforderungen“ gewählt. Die Corona-Pandemie hat sich natürlich auf unsere ursprünglichen Pläne ausgewirkt. Trotzdem wollen wir weiter daran arbeiten, die EU zu einem stärkeren Akteur, globalen Partner und Sicherheitsanbieter zu machen. Und die Bedeutung von Solidarität und Zusammenarbeit gilt unter Umständen mehr denn je.

Unsere Prioritäten haben wir auf vier Hauptpfeiler für EU-Aktion konzentriert:

  • Ein Europa, das sich entwickelt
  • Ein Europa, das verbindet
  • Ein Europa, das schützt
  • Ein Europa, das einflussreich ist

Unter dem letzten Punkt wollen wir insbesondere die Bedeutung des Engagements in Stabilität und Sicherheit in der Nachbarschaft der EU hervorheben. Darunter liegt uns besonders daran, die Fortsetzung des EU-Erweiterungsprozess zu fördern. Hier denken wir an die Länder des Westlichen Balkans, die die Gelegenheit bekommen müssen, in einem fairen, aber strengen Prozess ihre volle Mitgliedschaft in der EU letztendlich zu verwirklichen.

Der kroatische Botschafter S.E. Gordan Bakota mit dem Fahrrad, das traditionell zur EU-Ratspräsidentschaft an das jeweilige Gastgeberland übergeben wird

Der Europäische Rat hat im letzten Dezember Kroatien den Auftrag erteilt, die Konferenz über die Zukunft Europas vorzubereiten. Wir werden uns dementsprechend bestmöglich bemühen, die Stellungnahme des Rates über den Inhalt, Umfang, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Konferenz zu identifizieren. Es ist wichtig, eine möglichst breite Beteiligung der Bürger an der Konferenz zu gewährleisten, denn die Europäische Union muss sich ihren Bürgern noch mehr annähern. Nach jetzigem Stand wird die Konferenz frühestens im September möglicherweise in Dubrovnik stattfinden.

Zagreb

DM: „Wir sind sozusagen gefühlte Nachbarn“, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas nach der Unterzeichnung des bilateralen Aktionsplanes zwischen Kroatien und Deutschland im März 2019. Welche Bereiche umfasst diese Kooperation?

S.E. Gordan Bakota: Die bilateralen Beziehungen zwischen Kroatien und Deutschland sind schon jahrelang durch intensive Zusammenarbeit in unterschiedlichen Bereichen gekennzeichnet. Als Botschafter von Kroatien in Deutschland freue ich mich besonders, dass wir zum 1. Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft an Deutschland übergeben und dass durch die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung über eine verstärkte Zusammenarbeit zusammen mit dem Aktionsplan zwischen der Regierung der Republik Kroatien und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland im März 2019 ein weiterer bedeutender Schritt unternommen wurde, um die Beziehungen als Verbündete und EU-Partner weiter zu vertiefen.

Der Aktionsplan sieht die Stärkung der Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse vor: Außen- und EU-Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Bildung, Sport, nachhaltige Entwicklung, Klima, Energie, Umwelt, innere Angelegenheiten und Zusammenarbeit im Justizbereich, Verteidigung, Landwirtschaft, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik, Gesundheit und Austausch auf parlamentarischer Ebene. Wir freuen uns darauf, dass im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans nicht nur die Beziehungen zwischen beiden Ländern weiter gestärkt werden, sondern dass auch der Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien in der Europäischen Union eine zusätzliche neue Dimension verliehen wird.

DM: Die EU-Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien sollen wieder aufgenommen werden. Jetzt im Mai soll der EU-Westbalkan-Gipfel in Zagreb stattfinden, mit dem sich viele Hoffnungen verbinden. Stellt diese Konferenz eine Chance für Kroatien dar, als Vermittler aufzutreten?

S.E. Gordan Bakota: Die Entscheidung über die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien ist ein großer Erfolg für die kroatische EU-Ratspräsidentschaft. Wir brauchen mehr Europa, besonders auf dem westlichen Balkan. Deshalb hat sich Kroatien von Anfang an dafür eingesetzt, Fortschritte im EU-Beitrittsprozess mit Nord-Mazedonien und Albanien zu unterstützen. Beide Länder haben die Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen verdient. Es freut uns auch, dass die neue Methodologie der EU Erweiterung zusammen mit dem positiv intonierten Bericht der Europäischen Kommission der Zustimmung unter EU-27 beigetragen haben. Wir begrüßen diese positive Entscheidung.

Am 6. und 7. Mai wollten wir ursprünglich unter dieser Zielsetzung alle Staats- und Regierungschefs zum EU-Westbalkan-Gipfel nach Zagreb einladen, um dem Erweiterungsprozess den frischen Anlauf zu geben. Die gesundheitliche Situation erlaubt uns leider nicht, Anfang Mai so ein großes Treffen auf die traditionelle Art und Weise zu veranstalten, aber die kroatische EU-Ratspräsidentschaft wird alles Mögliche tun, um ihre Aufgaben zu erfüllen und ihren Beitrag zur Fortsetzung der EU-Erweiterung zu leisten. In diesem Zusammenhang sind wir im engsten Kontakt mit dem Präsidenten des Europäischen Rates. Als Option bleibt immer eine Videokonferenz zu einem günstigen Zeitpunkt.

DM: Vor der Küste der Insel Krk soll ab 2021 ein Flüssiggas-Terminal (LNG) schwimmen. Was erhoffen Sie sich von diesem Energieprojekt?

S.E. Gordan Bakota: Ein Europa, das verbindet ist eine der Prioritäten unserer Präsidentschaft. Es handelt sich in der Tat um ein europäisches Projekt. Das Terminal hat eine hohe strategische Bedeutung, um die Diversifizierung der Gasversorgung in Mittel- und Südosteuropa sicherzustellen. Nach der jetzigen Planung, soll es bis zum Jahresende in Betrieb genommen werden. Uns freut es sehr, dass die Europäische Kommission die Wichtigkeit dieses Projekts anerkannt hat, indem es betont wurde, dass dieses Vorhaben zur Sicherheit und Diversifizierung der Energieversorgung beitragen wird. Die EU stellt selbst über das Programm "Connecting Europe" 101,4 Millionen Euro zur Verfügung. 100 Millionen Euro kommen aus dem kroatischen Staatshaushalt.

DM: In Kroatiens Industrie spielt der Schiffbau, der bis zu rund zehn Prozent des BIP des Landes ausmacht, eine herausragende Rolle. Welche weiteren Industriezweige würden Sie außerdem hervorheben wollen?

S.E. Gordan Bakota: Industriezweige, die ein großes Potenzial der Entwicklung der kroatischen Wirtschaft zeigen, sind Pharmaindustrie und Holzindustrie. Pharmaindustrie ist global gesehen eine der am schnellsten wachsenden Branchen in der Welt. Kroatische Firmen haben daran einen kleinen Anteil, aber auf dem Weltmarkt sehen wir in Verbindung mit der digitalen Technologie ein großes Entwicklungspotenzial.

Forst- und Holzindustrie zählen in Kroatien zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Ein Großteil der Produktion und des Exportes sind Rohstoffe und kaum bearbeitete Holzprodukte. Wir müssen eine Strategie zur Stärkung der Holz verarbeitenden Industrie entwickeln, die Wertschöpfung im Land halten und die Herstellung hochwertiger Endprodukte forcieren wird.

Mit den Zukunftslösungen im Bereich Autoindustrie erlebt dieser Sektor breitere Wachstumsmöglichkeiten in Bezug auf andere Beförderungsarten wie zum Beispiel Bahn und Flugzeug. Dies ist für unsere Firmen wie Rimac Automobili, die den weltschnellsten Elektrowagen entwickelt, sehr interessant.

DM: Kroatien gehört zu den am schnellsten schrumpfenden Ländern der Welt. Manche Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerung bis 2050 auf 3,1 Millionen sinkt. 1991 waren es noch 4,7 Millionen. Wie bewerten Sie die Lage?

S.E. Gordan Bakota: Die Herausforderungen des demografischen Wandels in Europa sind heute in fast allen osteuropäischen und südosteuropäischen Ländern vorhanden. Seit der letzten großen Erweiterung der Europäischen Union in 2004, der sich zuletzt Kroatien 2013 angeschlossen hat, weisen viele der neuen EU-Mitgliedsstaaten, sowie andere Länder der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union, teilweise bedeutende Verluste an ihrer Bevölkerung auf.

Der Hauptgrund liegt sicherlich an Abwanderung. Wenn man dazu geringe Geburtsraten in gesamten Europa in Betracht zieht, ergibt sich die heutige Bilanz eines grundsätzlichen Ungleichgewichtes zwischen der Bevölkerungsentwicklung im Westen und im Osten Europas. Die Grundverantwortung für die Förderung der demografischen Stabilität liegt bei den nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten. Die kroatische Regierung bemüht sich durchaus mit verschiedenen sozialen und ökonomischen Maßnahmen diesen immer noch aktuellen Trend in Kroatien zu verändern oder mindestens zu mindern. Darüber hinaus ist dieses Problem auch eine klare europäische Herausforderung, die in das Arbeitsmandat der neuen Europäischen Kommission aufgenommen wurde. Das gesamte wirtschaftliche Wachstum in Europa muss kontinuierlich mit den Maßnahmen zur Minderung von sozioökonomischen Ungleichgewichten in Europa begleitet sein, denn nur so kann sich Europa nachhaltig weiterentwickeln.

DM: Die Urlaubs- und Ferienzeit steht eigentlich vor der Tür, und Kroatien zählt zu den beliebtesten Touristenzielen der Welt. Haben Sie für unsere Leserinnen und Leser vielleicht ein paar Geheimtipps?

S.E. Gordan Bakota: Ich kann Ihren Leserinnen und Lesern herzlich empfehlen unser vielfältiges Land das ganze Jahr über zu besuchen. Kroatien hat sich in den letzten Jahren mit seiner verlockenden Landschaft zu einem der beliebtesten Reiseziele Europas entwickelt, was man besonders in Sommermonaten an der Adriaküste spüren kann.

Außer am schönen Meer und in zahlreichen historischen Kleinstädten an der Küste entlang kann man sich auch im kontinentalen Kroatien entspannen und aktiv Zeit verbringen – ob beim Wandern, Rudern, Fahrradfahren oder einfach beim Genießen der regionalen Küche, der Landschaft und der bekannten Gastfreundlichkeit der heimischen Leute. Die Kroatische Touristische Zentrale in Deutschland ist eine sehr gute Adresse, wo alle Auskünfte über das Reiseziel Kroatien immer gerne und genau gegeben werden.

DM: Herr Botschafter, ich danke Ihnen für dieses Gespräch in diesen unruhigen Zeiten. 


INTERVIEW Enrico Blasnik