Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) erforscht die Bedingungen von Frieden und Sicherheit in Deutschland, Europa und darüber hinaus. Das IFSH forscht eigenständig und unabhängig. Es wird von der Freien und Hansestadt Hamburg finanziert. Seit 2019 unterhält das Institut auch ein Büro in Berlin.
DM: Seit wann existiert Ihr Institut und womit beschäftigen Sie sich tagtäglich?
Anja Dahlmann: Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg gibt es seit 1971, also seit über 50 Jahren. Seit 2019 haben wir außerdem ein Büro in Berlin.
Wir befassen uns mit einem breiten Feld an Themen, das sich in vier Bereiche gliedert: erstens europäische Friedens- und Sicherheitsordnungen, also der Blick auf die EU und OSZE als Friedensprojekte; zweitens gesellschaftlicher Frieden und innere Sicherheit, beispielsweise mit Forschung zu Extremismus oder Verschwörungserzählungen; drittens Klimaforschung, denn globale Umweltveränderungen haben Einfluss auf Frieden und Sicherheit. Viertens befassen wir uns mit Rüstungskontrolle, insbesondere mit neueren Technologien wie Cybersicherheit, autonome Waffensysteme und Hyperschallwaffen, aber auch mit Atomwaffen. Gerade in diesem Bereich spielt der interdisziplinäre Austausch zwischen sozial- und naturwissenschaftlichen Friedensforscher*innen eine wichtige Rolle. Insgesamt setzt das IFSH damit das Konzept der integrierten Sicherheitspolitik in seiner Forschung um, denn die Lösung komplexer Probleme kann nur ressortübergreifend funktionieren. Wichtig ist dabei, dass unsere akademische Forschung mit Wissenstransfer, also dem beständigen Austausch mit Gesellschaft und Politik, verbunden ist. So leisten wir einen konkreten Beitrag zur Bearbeitung sicherheitspolitischer Herausforderungen.
DM: Sind Bedingungen für Frieden und Sicherheit eindeutig zu definieren?
Anja Dahlmann: Diese Bedingungen sind vielfältig und bedingen sich gegenseitig. In einem weiten Verständnis von Frieden ist dieser nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch die Abwesenheit struktureller Gewalt aus Not und Unterdrückung. Oder anders: Frieden ist ein Prozess zunehmender Gerechtigkeit und abnehmender Gewalt. Ähnlich gilt das für Sicherheit, denn sie ist ebenfalls kein fester Zustand. Es bleibt eine dauerhafte Aufgabe, Sicherheit für möglichst viele Menschen – nicht Staaten – herzustellen.
Das ist bei den vielen Krisen, vor denen die Menschheit derzeit steht, nicht einfach. Globale Phänomene wie die Pandemie und die Klimakatastrophe sind nicht nur für sich genommen dramatisch, sondern verstärken andere Krisen und Konflikte zusätzlich. Es reicht also nicht, ein Problem nach dem anderen isoliert zu betrachten – weder in der Friedens- und Sicherheitspolitik noch in der Friedensforschung.
DM: Sind weltweiter Frieden, globale Völkerverständigung und Sicherheit aller Orten also eine reine Illusion?
Anja Dahlmann: Es ist zumindest eine Vision. Diese kann und muss uns als Gesellschaft aber leiten, um Gewalt abzubauen und Gerechtigkeit zu schaffen. Mit Konzepten wie menschlicher Sicherheit und feministischer Außen- und Sicherheitspolitik können wir dem ein gutes Stück näherkommen. Wir wissen aus der Forschung, dass Gesellschaften ohne Gleichberechtigung deutlich stärker zu Konflikten neigen als andere. Die Beteiligung von Frauen und marginalisierten Gruppen in politischen Entscheidungsprozessen und die gerechte Verteilung von Ressourcen machen Gesellschaften sicherer und stärken den Frieden.
DM: Sind Drohgebärden und Säbelrasseln zur Erhaltung des Friedens notwendig?
Anja Dahlmann: Nein. Um Stabilität und Sicherheit zwischen Staaten zu schaffen, ist das Zusammenspiel von Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Dialogbereitschaft entscheidend. Dazu gehören insbesondere Institutionen zur friedlichen Konfliktbearbeitung, besonders die Vereinten Nationen. Diese zu modernisieren, um den Globalen Süden tatsächlich gleichberechtigt einzubinden, ist sicher eine der großen Herausforderungen. In den Staat hinein gilt es außerdem, demokratische Strukturen und zivilgesellschaftliche Beteiligung zu stärken.
DM: Wie ist Ihre Einschätzung zur Situation im Ukraine-Krieg? Welchen Ausweg kann es geben?
Anja Dahlmann: Für den Angriff Russlands auf die Ukraine gibt es keine Rechtfertigung. Russland kann den Krieg sofort beenden, indem es sich aus der Ukraine zurückzieht. Für einen langfristigen Frieden müsste dies wohl auch die besetze Krim umfassen, denn dort schwelte schon seit der russischen Annexion 2014 ein bewaffneter Konflikt. Da dies offensichtlich nicht freiwillig passiert, muss die internationale Gemeinschaft die Ukraine stärken, um Russland klarzumachen, dass es diesen Krieg nicht gewinnen kann. Dazu gehört, dass weder nukleare Erpressung noch Terrorisierung der Zivilbevölkerung bei der Durchsetzung seiner Ziele helfen. Wenn es keine klare militärische Entscheidung gibt – und die gibt es in Kriegen selten – werden letztlich Verhandlungen den Krieg beenden müssen.
Interview Christian Barth