Königs Kolumne Die unglaubliche Geschichte, warum Deutsch keine UNO-Amtssprache wurde

Deutsch könnte die sechste offizielle Sprache in der UNO und ihrer mehr als 150 Sonderorganisationen sein – wenn Bonn nach dem UNO-Beitritt der beiden deutschen Staaten im Jahr 1973 nicht gekniffen hätte! Die Einführung der deutschen Sprache scheiterte nicht etwa am sowjetischen, chinesischen oder britischen Veto, sondern schlicht am Bonner Auswärtigen Amt (AA) unter FDP-Minister Walter Scheel.

Der frühere deutsche Spitzendiplomat Gunter Pleuger, den ich für mein nächstes Buch interviewt habe, erzählte mir diese unglaubliche Geschichte. Neben den fünf Amtssprachen – Englisch, Französisch, Russisch, Chinesisch und Spanisch – stand damals ein sechster Kanal für Simultanübersetzungen zur Verfügung. Der Kanal war frei, die technischen Voraussetzungen waren gegeben. Die bundesdeutsche UNO-Mission in New York betrachtete dies als wichtiges Beitrittsprojekt und bemühte sich mit professionellem Lobbying, für die Abstimmung in der Generalversammlung eine breite Mehrheit von Zusagen einzuwerben. Zunächst mit Erfolg: Statt der einfachen Mehrheit, die genügt hätte, konnte sich die Vertretung sogar der Zweidrittelmehrheit sicher sein. Das Sekretariat im UNO-Hauptgebäude bestätigte den Deutschen, sie könnten den Kanal für ihre Sprache haben. Im ersten Jahr würden dafür Kosten anfallen, ab dem zweiten Jahr würde die Kosten der allgemeine UNO-Haushalt übernehmen.

„Wir haben das nach Bonn berichtet, aber Bonn war sehr zurückhaltend. Das AA glaubte nicht so recht, dass wir dafür die nötige Stimmenanzahl kriegen würden. Ich bin sogar auf eigene Kosten nach Bonn gereist, habe mir einen Termin beim Büroleiter von Herrn Scheel geben lassen und ausführlich erklärt, warum wir eine entsprechende Weisung haben wollten, um beim UNO-Beitritt den Antrag auf die Amtssprache Deutsch stellen zu können. Diese Weisung haben wir leider nicht bekommen.“
„Die Bonner“, erinnert sich Pleuger, „haben ausgerechnet die Staaten, die uns Bundesdeutschen gegenüber Komplexe hatten, konsultiert, nämlich die DDR und Österreich. Beide waren sehr zurückhaltend.“

„Wann stellt Bonn den Antrag?“

Was hätte der Status Amtssprache gebracht? Mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs sind in allen Organen der Vereinten Nationen Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch Amtssprachen sowie Englisch und Französisch Arbeitssprachen der Vereinten Nationen. Reden, die in einer der beiden Arbeitssprachen gehalten werden, werden in die jeweils andere Arbeitssprache gedolmetscht. Reden, die in einer der drei anderen Amtssprachen gehalten werden, haben in die beiden Arbeitssprachen übersetzt zu werden.

Wenige Tage nach dem deutschen UNO-Beitritt sei ein arabischer Kollege auf ihn zugekommen, erzählt Pleuger, und habe ihn gefragt, wann Bonn denn nun den Antrag auf die deutsche Sprache stellen würde. Pleuger musste ihm antworten: „Gar nicht. Wir haben keine Weisung erhalten, diesen Antrag zu stellen.“ Daraufhin machte der Kollege große Augen und rannte weg. Kurze Zeit später beantragten die Araber, Arabisch auf dem sechsten Kanal als Amtssprache einzuführen. „Die Sache war in der Generalversammlung in zehn Minuten erledigt. Die Araber konnten sich problemlos auf all die Stimmen stützen, die wir eingeworben hatten.“

So wurde Arabisch – dank der Beitritte von BRD und DDR 1973 – auf der Weltbühne Amtssprache der UNO und zehn Jahre später auch Amtssprache des Weltsicherheitsrats. Alle, die damals an dem Vorgang beteiligt waren, können bis heute die Bonner Entscheidung nicht nachvollziehen. Diese Chance gab es nur das eine Mal. Sie wurde vertan. Pleuger bedauert: „Es ist für immer vorbei.“
Da es nur ein interner Vorgang war, drang das Versagen Bonns nicht an die Öffentlichkeit. Niemand berichtete darüber. Nur die Leser des Diplomatischen Magazins wissen jetzt davon.


Über den Autor:

Ewald König ist Chefredakteur bei korrespondenten.tv, einem Projekt des Berliner Korrespondentenbüros.