Wer den Begriff „Eiweißstrategie“ zum ersten Mal hört, mag Schwierigkeiten haben, sich etwas darunter vorzustellen. Eiweiß ist ein essentieller Bestandteil der menschlichen Ernährung.
Im Rahmen der Eiweißstrategie geht es allerdings nicht nur um die menschliche Ernährung, sondern in erster Linie um Tierfutter. Das Futter für Nutztiere besteht zu einem erheblichen Teil aus Soja, der aus Drittländern, und insbesondere aus Südamerika, importiert wird. Denn innerhalb der EU werden bei weitem nicht genug Pflanzen angebaut, die als Lieferanten für pflanzliches Eiweiß dienen könnten. Das aus Drittländern importierte Soja ist außerdem meist gentechnisch verändert. Viele europäische Verbraucher stehen eben diesen gentechnisch veränderten Organismen skeptisch gegenüber.
Seit 1960 ist der jährliche Verbrauch von Soja in Europa von knapp 2,5 Millionen Tonnen auf mittlerweile fast 36 Millionen Tonnen angewachsen. Und nicht nur hier steigt der Bedarf. Inzwischen ist China der weltweit größte Importeur von Soja und kauft über zwei Drittel der brasilianischen Produktion ein. Der massive Soja-Anbau in Südamerika hat gravierende Folgen für die Umwelt. Denn für die Ackerflächen wird Regenwald gerodet, der seinerseits enorm wichtig für das globale Klima ist. Weitere negative Auswirkungen sind Bodenerosion, der Verlust biologischer Vielfalt und nicht zuletzt die Kontaminierung des Grundwassers durch Pestizide.
Daher gibt es auf europäischer Ebene Pläne, den Anbau von Eiweißpflanzen innerhalb der EU und in den Nachbarländern zu fördern und so die Abhängigkeit von Importen zu senken.
Im vergangenen März veröffentlichte das EU-Parlament einen Bericht über eine europäische Strategie zur Förderung von Eiweißpflanzen. Das Problem des Proteindefizits in der EU ist nicht neu. Bereits 2011 veröffentlichte das EU-Parlament eine Entschließung zum Thema. Auch die Vereinten Nationen haben dies in einer 2015 verabschiedeten Resolution mit dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ thematisiert.
Im April 2018 wurde eine dem Bericht vom März entsprechende Resolution im Parlament beschlossen. In dem Bericht und der Resolution fordert das Parlament die Kommission auf, bis Ende 2018 eine europäische Eiweißstrategie vorzulegen.
Ein verstärkter Anbau von Leguminosen könnte sich aus verschiedenen Gründen auch positiv auf die Umwelt auswirken. Da die Pflanzen von Natur aus Stickstoff binden, könnten dadurch stickstoffhaltige mineralische Düngemittel eingespart werden. Dies würde wiederum den CO²-Ausstoß und die Verschmutzung von Gewässern und Grundwasser vermindern. Zudem trägt der Anbau von Eiweißpflanzen zur Steigerung der biologischen Vielfalt bei. Die Blüten dieser Pflanzen bieten außerdem Bienen und anderen Insekten eine zusätzliche Weide.
Die Ausarbeitung und Umsetzung einer solchen Strategie erfordert die Mitwirkung verschiedener Politikbereiche. Vor allem muss aber auf europäischer Ebene die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) angepasst werden. Ziele der GAP sind unter anderem die Erzeugung sicherer Lebensmittel in ausreichender Menge, der Schutz der Landwirte vor zu großen Preisschwankungen und Marktkrisen, sowie Umweltschutz und Tierschutz.
Das EU-Parlament fordert in seinem Bericht nicht nur die Förderung des Anbaus von Eiweißpflanzen, sondern darüber hinaus auch die Unterstützung der Forschung bezüglich alternativer Proteinquellen.
Im Hinblick auf die globale Klima- und Umweltsituation bleibt jedoch zu hoffen, dass das Bestreben nach Unabhängigkeit von Importen aus Drittländern am Ende nicht auch in Europa zu Monokulturen von Soja und anderen Eiweißpflanzen führt.
Über die Autorin:
Dr. Béatrice Schütte studierte Jura in Hamburg und Bordeaux. Ihre Promotion schloss sie an der Universität Aarhus im Jahr 2014 ab. Ihre Hauptforschungsschwerpunkte sind Rechtsvergleichung, Haftungsrecht, Internationales Privatrecht und EU-Recht. Außerdem liebt sie Fremdsprachen.