Schon einmal stand die Welt an solch einem Scheideweg: 1989, als der Kalte Krieg endete und so die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht wurde. Zugleich zerfiel der Ostblock und aus der bipolaren wurde eine monopolare Welt mit den USA als führende Nation. Der Harvard-Dozent Joseph Nye lieferte 1990 das Stichwort für die neue Ära: Soft Power. Er definierte eine neuartige Machtausübung durch Werte, Worte, Wirtschaftshilfe oder Sanktionen, jedoch keineswegs durch Waffen. Die Rivalität der Systeme konnten die USA eindeutig für sich und gegen die zerfallende Sowjetunion entscheiden – nicht zuletzt durch den gezielten Einsatz von Soft Power. Sie baut darauf, Präferenzen mit anderen zu teilen und durch eine attraktive politische Ausstrahlung, Kultur und zivile Institutionen als legitimiert zu gelten und moralische Autorität in Anspruch nehmen zu können. Es ist „the ability to attract“ – die Fähigkeit eines Landes, auf andere eine gewisse Anziehungskraft auszuüben – sei es durch Kultur, Gesellschaft, Geschichte, Wissenschaft, Mode, Kulinarik, Sport oder landschaftliche Faszination.
Jedes Land verfügt über Soft Power
In dem Maße, wie die Welt sich zu einem immer unsichereren Ort entwickelt, nimmt die Bedeutung der „weichen Macht“ zu. Die neuen globalen machtpolitischen Realitäten erfordern den verstärkten Einsatz von diplomatischen Samthandschuhen. In einer sich globalisierenden Welt, in der offener Krieg zwischen Staaten als Mittel der Politik geächtet ist, nehmen innerstaatliche Konflikte, Unruhen und Bürgerkriege zu. „Weiche Machtfaktoren“ hingegen können universelle Werte und gesellschaftliche Entwicklung fördern, sofern sie von gegenseitigem Respekt geprägt sind. Welchem Land gelingt das derzeit am besten? Folgt man dem Soft Power Survey der US-Beratungsfirma Portland, dann ist das Frankreich. Großbritannien, Deutschland, Schweden, USA, Schweiz, Kanada, Japan, Australien und die Niederlande folgen auf den Plätzen. Das internationale Nachrichten- und Lifestyle-Magazin Monocle sieht auch Frankreich vorn, Deutschland auf Platz zwei und Japan auf drei.
Jedes Land verfügt über Soft Power. Jedes Land hat etwas zu bieten, das andere Länder und Menschen attraktiv finden könnten. Es ist allemal besser, bewundert als gefürchtet zu werden. Ein positives und starkes nationales Image zahlt sich in erheblichen Zugewinnen bei Exporten, ausländischen Direktinvestitionen, in der Tourismusindustrie und in vielen anderen Bereichen aus. Dazu muss ein Land seine individuellen Vorzüge erkennen und darüber den Völkern der Welt berichten. Diese Vorzüge können in Freihandelszonen für ausländische Investoren ebenso liegen wie in exklusiven Tourismusprogrammen, besonders guten Produktionsbedingungen oder einer vorteilhaften geostrategischen Lage. Darüber hinaus ist es unerlässlich, die Menge, Qualität und Relevanz seiner kulturellen, kommerziellen, sozialen und politischen Beziehungen zum Rest der Menschheit zu erhöhen. Also tue Gutes und rede darüber! Langfristig, kontinuierlich und mit Nachdruck. Und: Kenne Deine Vorzüge, Deine Wettbewerbsvorteile, Deine Stärken – und trage sie auf den Marktplatz des globalen Wettstreits.
Über den Autor:
Dr. Michael Inacker ist CEO der WMP Eurocom AG, einer Kommunikationsagentur aus Berlin.