Sie arbeitet auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse mit unterschiedlichen Institutionen zusammen. Ihren Sitz hat sie im finnischen Helsinki, rund 600 Mitarbeiter/innen sind hier beschäftigt. Die Agentur hat eine Expertengruppe für Nanomaterialien und die Beobachtungsstelle der Europäischen Union für Nanomaterialien ist ebenfalls hier ansässig. Das Diplomatische Magazin hat mit den wissenschaftlichen Referenten Marianne Matzke und Frank Le Curieux gesprochen.
DM: Frau Matzke, Herr Le Curieux, die Nanotechnologie wird als Schlüsseltechnologie mit großem technischen und wirtschaftlichen Potenzial beschrieben. Aber lange Zeit war es sogar schwierig, Nanomaterialien überhaupt zu definieren. Warum ist es so schwierig, sie zu definieren?
Matzke / Le Curieux: Die allgemeine Definition eines Nanopartikels oder Nanomaterials basiert auf der Größe. Sie ist ein Schlüsselfaktor. Theoretisch kann ein Nanomaterial aus fast jedem Element des Periodensystems hergestellt werden. Ihre einzigartigen Eigenschaften werden durch ihr großes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen bestimmt, was zu einer hohen Reaktivität führt. Das macht sie zu idealen Kandidaten für die Verbesserung von Produkten und die Steigerung der Effizienz von technologischen Prozessen, was zu einem geringeren Ressourcen- und Energieverbrauch führt. Nanomaterial gibt es in verschiedenen Größen, Formen und mit unterschiedlicher Oberflächenfunktionalisierung, um sie auf einen bestimmten Prozess, eine bestimmte Anwendung oder den Einsatz in einem Produkt zuzuschneiden. Üblicherweise werden Nanomaterialien aus Kohlenstoff, Metall oder Metalloxid oder auf Polymerbasis hergestellt. Diese nanospezifischen Eigenschaften führen zu einer fast unüberschaubaren Anzahl von potenziellen Nanomaterialien.
In einem regulatorischen Kontext ist die Definition spezifischer, damit sie rechtlich umgesetzt werden kann. Zwei Jahrzehnte im Dialog mit Regulierungsbehörden und mit der Industrie haben zu Grundlagen geführt, die Nanomaterial beschreiben und definieren. Das Hauptproblem sind die technischen Einschränkungen bei der vollständigen Charakterisierung der Materialeigenschaften mit physikalischen und chemischen Analysemethoden
DM: Inzwischen scheint es aber eine Definition zu geben?
Matzke / Le Curieux: Nanomaterialien bestehen aus unterschiedlich geformten kleinen Partikeln, die nicht größer als hundert Nanometer oder etwa tausendmal kleiner als die Dicke eines menschlichen Haares sind. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften unterliegen Nanomaterialien einer besonderen behördlichen Kontrolle, sowohl durch das allgemeine Chemikalienrecht (REACH) als auch durch sektorale Rechtsvorschriften, die sich mit ihrer Verwendung in bestimmten Produkten wie Bioziden, Kosmetika oder Lebensmitteln befassen.
Bei der ECHA verwenden wir die Definition der Europäischen Kommission für Nanomaterialien aus dem Jahr 2011: „‚Nanomaterial‘ ist ein natürliches, zufälliges oder hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand oder als Aggregat oder Agglomerat enthält und bei dem 50 % oder mehr der Partikel in der Größenverteilung der Anzahl eine oder mehrere äußere Abmessungen im Größenbereich von 1 nm-100 nm aufweisen. In besonderen Fällen und wenn dies aus Gründen des Umweltschutzes, der Gesundheit, der Sicherheit oder der Wettbewerbsfähigkeit gerechtfertigt ist, kann der Schwellenwert für die Anzahlgrößenverteilung von 50 % durch einen Schwellenwert zwischen 1 und 50 % ersetzt werden.“ Sie wurde im Juni 2022 überarbeitet. Jede EU-Verordnung hat diese Definition leicht variiert, um sie besser an ihr Ziel anzupassen, aber der gemeinsame Nenner ist immer die Partikelgröße.
DM: Nanomaterialien sind in vielen unserer Alltagsprodukte (Lebensmittel, Kosmetika, Textilien usw.) enthalten. Die Verwendung wird zukünftig noch zunehmen, denn für das Wirtschaftswachstum in der EU wird die Nanotechnologie eine zentrale Rolle spielen. Dennoch gibt es auch Risiken?
Matzke / Le Curieux: Die besonderen Eigenschaften von Nanomaterialien können die Toxizität des Materials erhöhen oder andere Verfahren für eine sichere Verwendung erfordern. Verschiedene Nanoformen einer Chemikalie können sich in der Umwelt aufgrund der nanospezifischen Eigenschaften unterschiedlich verhalten. Die potenziell negativen Auswirkungen von Nanomaterialien hängen von ihren Eigenschaften ab, z. B. von der Partikelgröße und der Oberfläche, sowie von den Eigenschaften der Umgebung, in die sie gelangen, wie z. B. dem pH-Wert, der Temperatur oder dem Vorhandensein von Salzen oder anderen Substanzen.
Die Forschung zeigt, dass Nanomaterialien nach ihrer Freisetzung in die Umwelt sofortige und komplexe Umwandlungen durchlaufen. Dabei kann es sich um biologische, physikalische oder chemische Umwandlungen handeln, die von den spezifischen Eigenschaften der Materialien und von den Umweltbedingungen beeinflusst werden. Die Bewertung der potenziellen Gesundheitsgefährdung eines Nanomaterials erfolgt durch (öko-)toxikologische Studien, die sich auf bestimmte Organe wie Leber und Niere beziehen oder auf das Blut. Und auf bestimmte Aufnahmewege wie Verschlucken, Einatmen oder Hautabsorption. Und es werden Auswirkungen auf wichtige Umweltarten wie Algen, Wirbellose oder Fische untersucht.
DM: Können die Risiken kontrolliert oder minimiert werden? Wenn ja, wie?
Matzke / Le Curieux: Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie das Verhalten und der Verbleib von Nanomaterialien wurden in den letzten 20 Jahren intensiv erforscht. Die spezifischen Eigenschaften von Nanopartikeln können zu besonderen Gefährdungen führen, die einer genauen Betrachtung bedürfen. In der EU müssen die gefährlichen Eigenschaften von Nanomaterialien bewertet und ihre sichere Verwendung muss gewährleistet sein. Bei der Bewertung der Gefahren und Risiken von Nanomaterialien wurden Fortschritte erzielt, denn es gibt immer mehr zuverlässige und validierte Testsysteme und Teststrategien für nanospezifische Eigenschaften, die mit den für herkömmliche Chemikalien verwendeten Tests nicht untersucht werden können. Die Chemikalienverordnung REACH wurde 2018 geändert, um die spezifischen Anforderungen für Nanopartikel zu berücksichtigen. Alle Nanoformen, die in der EU in einer bestimmten Menge hergestellt oder in die EU importiert werden, müssen im Registrierungsdossier des Stoffes an die ECHA gemeldet werden. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften erfordern Nanoformen eine zusätzliche gründliche Charakterisierung und detaillierte Informationen über intrinsische Eigenschaften wie Größe, Form, Oberflächenbehandlung oder Oberfläche. Auch mehrere andere EU-Gesetze enthalten zusätzliche Bestimmungen zu Nanomaterialien, um eine angemessene Datenerhebung, Risikobewertung und in ausgewählten Fällen eine Kennzeichnung von Produkten sicherzustellen, die die Verbraucher über das Vorhandensein von Nanomaterialien informiert.
DM: Herzlichen Dank für das Interview*.
echa.europa.eu
euon.echa.europa.eu
*Das Interview gibt die Meinung der Autoren wieder und ist keine offizielle Position der Europäischen Chemikalienagentur
Interview Marie Wildermann