Wie Welttourismusorganisation (UNWTO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Madrid. Laut Selbstauskunft verbindet die UNWTO „die wichtigsten Tourismusakteure in einem globalen Netzwerk und fördert Investitionen, die das Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Nachhaltigkeit im Tourismus ankurbeln.“ Darüber und über den Neustart des Tourismus nach der Pandemie hat das Diplomatische Magazin mit dem Leiter der Welttourismusorganisation Zurab Pololikashvili gesprochen.
DM: Herr Pololikashvili, Tourismus, sollte man meinen, funktioniert von selbst. Jedes Land hat daran ein starkes Eigeninteresse. Warum brauchen wir eine Weltorganisation für Tourismus?
Zurab Pololikashvili: Der Tourismus ist heute ein allgemein anerkannter und wichtiger Motor für die Entwicklung. Und sie ist eine Chance für jede Region auf der Welt. Das Potenzial des Tourismussektors ist enorm. Damit dieses Potenzial jedoch voll ausgeschöpft werden kann, müssen Länder und Regionen zusammenarbeiten - ebenso wie der öffentliche und der private Sektor.
Die Welttourismusorganisation (UNWTO) ist die Brücke zwischen Tourismus und den Vereinten Nationen. Die UNWTO hat den Tourismus zu einem wichtigen Bestandteil der Agenda für nachhaltige Entwicklung gemacht und fördert den Tourismus als eine der Lösungen für die Klimakrise. Zum Beispiel durch das Zusammenführen des breiten Spektrums, das hinter der Erklärung von Glasgow steht, bei der es um die Klimamaßnahmen im Tourismus geht – mit dem ehrgeizigen Ziel, bis spätestens 2050 einen Netto-Null-Tourismus zu erreichen.
Gleichzeitig ist die UNWTO maßgeblich daran beteiligt, die Investitions- und Finanzierungslandschaft für den globalen Tourismus neu zu gestalten. In zu vielen Fällen verhindern fehlende Investitionen die Umsetzung guter Ideen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung, insbesondere in Entwicklungsländern.
DM: Wie arbeitet das Netzwerk der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) und für wen erstellen Sie die Expertenberichte?
Zurab Pololikashvili: Das Internationale Netzwerk der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) der UNWTO wurde 2004 mit dem Hauptziel gegründet, die kontinuierliche Verbesserung von Nachhaltigkeit und Resilienz im Tourismussektor zu unterstützen. Das Netzwerk zählt derzeit 35 Mitglieder, aber diese Zahl wächst ständig, da immer mehr Destinationen die Bedeutung eines systematischen und regelmäßigen Controlling touristischer Leistungen und Auswirkungen erkennen. Darüber hinaus vernetzt INSTO Destinationen, damit sie ihr Wissen austauschen können. Die Initiative bietet politischen Entscheidungsträgern, Planern, Destinationsmanagern und anderen relevanten Interessengruppen wichtige Instrumente, um faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Auf diese Weise beobachten die INSTO-Mitglieder die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen des Tourismus auf die Reiseziele. Die Initiative baut auf dem langjährigen Engagement der UNWTO für nachhaltiges und resilientes Wachstum auf. Messungen und Controlling unterstützen ein faktenbasiertes Management des Tourismus.
Die INSTO-Mitglieder haben sich zu regelmäßigen und zeitnahen Messungen in 11 Schlüsselbereichen verpflichtet. Im ökonomischen Bereich sind das: Wirtschaftlichkeit, Beschäftigung und Saisonabhängigkeit des Tourismus, im ökologischen Bereich Energie, Wasser, Abwasserund Abfallentsorgung, Klimaschutz und im sozialen Bereich Governance und Zugang. Darüber hinaus verpflichten sich die INSTO-Mitglieder zu einem partizipativen Ansatz bei der Einrichtung einer Beobachtungsstelle in allen Entwicklungsstadien. Eine solche Beteiligung wird als grundlegend für jede erfolgreiche Nachhaltigkeitsinitiative auf der Ebene der Destinationen angesehen.
DM: Hat die UNWTO den Tourismus während der Covid-Pandemie unterstützt?
Zurab Pololikashvili: Der plötzliche und unerwartete Reisestopp, der durch die Pandemie verursacht wurde, führte zur größten Krise in der Geschichte des Tourismus. Die UNWTO hat es geschafft, den Sektor in jeder Phase zu unterstützen - von der Abfederung bis hin zum Neustart und zur Erholung. Durch das UNWTO Global Tourism Crisis Committee konnten wir erreichen, dass die Akteure im Tourismusbereich sich auf klare und gemeinsame Ziele verständigten. Wir haben die Bedeutung harmonisierter Regeln betont, um eine schnelle und sichere Rückkehr des Reisens zu gewährleisten. Die UNWTO setzte sich auch auf höchster politischer Ebene für den Tourismus ein und betonte die Notwendigkeit, Unternehmen und Beschäftigte in der Krise zu unterstützen. Auf diese Weise konnten wir die Grundlagen für den Neustart des Tourismus sicherstellen.
DM: Die UNWTO hält ein Umdenken im Tourismus für notwendig. Warum?
Zurab Pololikashvili: Ein Umdenken im Tourismus ist wichtig, damit er seiner Verantwortung für den Klimaschutz gerecht wird und eine Lösung für die Klimakrise findet. Die Pause im internationalen Reiseverkehr stellte eine einzigartige Chance dar, die Dinge besser zu machen und unseren Sektor auf allen Ebenen zu transformieren - aber das Fenster der Gelegenheit, dies zu tun, schließt sich rapide. Die UNWTO treibt den Wandel auf allen Ebenen voran - vom Überdenken der Tourismus-Governance, der Finanzierung und Investition bis hin zur Unterstützung von Start-ups und Unternehmern, die die breite Basis der Tourismuspyramide bilden. Nur wenn wir dieses weitreichende Umdenken und die Transformation des Sektors vorantreiben, können wir sein einzigartiges Potenzial ausschöpfen, um unsere gemeinsamen Ziele - Klimaschutz, Nachhaltigkeit und den Aufbau von Volkswirtschaften, die integrativer und resilienter sind – zu erreichen.
Interview Marie Wildermann