Seit über 70 Jahren vermarktet die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) im Auftrag der Bundesregierung weltweit Deutschland als Reiseland. Welche Kampagnen und Trends in diesem Jahr angesagt sind und was Deutschland-Touristen wichtig ist – darüber hat das Diplomatische Magazin mit Petra Hedorfer gesprochen, Vorstandsvorsitzende der DZT.
DM: Frau Hedorfer, wie steht es um den Tourismus in Deutschland?
Petra Hedorfer: Für 2024 sehen wir wieder Wachstumspotenzial für den deutschen Incoming-Tourismus. Basis dafür sind zum einen unsere positive Bilanz für das Jahr 2023, außerdem die Prognosen der Welttourismusorganisation UN Tourism und ganz besonders die anstehenden Kultur- und Sport- Events in Deutschland.
Das Jahr 2023 haben wir mit einer guten Bilanz abgeschlossen. Bis Ende Dezember registrierte das Statistische Bundesamt mehr als 80 Millionen internationale Übernachtungen in Deutschland – das ist ein Plus von rund 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im internationalen Kontext rechnet UN Tourism im jüngsten Trendbarometer mit 1,5 Milliarden internationalen Ankünften weltweit – damit würde der weltweite Tourismus die Folgen der Corona-Pandemie in diesem Jahr endgültig überwinden. Gründe dafür sind die weiterhin stabil hohe Nachfrage aus Europa und Nordamerika sowie die starke Wiederbelebung der asiatischen Märkte.
Die dritte Säule für unsere optimistische Markteinschätzung ist die starke Performance der Marke Reiseland Deutschland. Wir sind als Kultur- und Städtereiseziel Nummer 1 der Europäer sehr gut etabliert, wir stehen auf Platz 2 als Naturreiseziel. Deutschland genießt ein sehr gutes Image als nachhaltige Destination. Unser Ziel ist es, diese Positionierung der Marke Reiseland Deutschland weiter zu stärken.
DM: Mit welchen Themenkampagnen und -schwerpunkten möchten Sie das erreichen?
Petra Hedorfer: Deutschlands einzigartige Kunst- und Kulturlandschaft ist Bestandteil urbaner Lebensqualität und ein starkes Reisemotiv für internationale Touristen. Dazu rollen wir in diesem Jahr die neue weltweite Kampagne „Cultureland Germany“ aus. Sie spiegelt die vielfältigen Facetten des kulturtouristischen Angebotes in den vier Clustern „Design. Culture.Travel.“, „Art.Culture.Travel.”, „Wine.Culture.Travel.” und „Music.Culture.Travel.“ wider.
Korrespondierend zur modernen zeitgenössischen Kulturund Kunstszene stehen unsere 52 UNESCO-Welterbestätten für Denkmalschutz, Pflege von Brauchtum und Tradition, für ein nachhaltiges Erleben von Kultur und Natur. Mit der 2023 entwickelten Kampagne „52 UNESCO World Heritage Sites“ lenken wir das Interesse von potenziellen Deutschlandurlaubern auf das große Erbe an bedeutenden Kulturgütern und einzigartigen Naturlandschaften - verbunden mit einem gut ausgebauten Netz öffentlicher Verkehrsmittel. Dafür haben wir in Zusammenarbeit mit dem UNESCO-Welterbeverein Reiserouten mit nachhaltigen, vielfach auch zertifizierten Reiseangeboten entwickelt. So schlagen wir zugleich die Brücke zum klima- und umweltfreundlichen Reisen. Denn Deutschland wird international immer mehr als nachhaltige Destination wahrgenommen. Diese positive Aufmerksamkeit nutzen wir für unsere globale Leitkampagne für Nachhaltigkeit „Simply FEEL GOOD“.
Als weiteres kulturtouristisches Thema steht 2024 der ‚250. Geburtstag von Caspar David Friedrich‘ auf der Agenda des DZT-Marketings. Insbesondere die großen Ausstellungen in Hamburg, Berlin, Dresden und Greifswald erfahren jetzt schon starke internationale Aufmerksamkeit.
Ein Highlight wird die UEFA EURO 2024 in Deutschland. Über die Spiele hinaus bieten die zehn Host Cities ein umfangreiches Programm mit Public Viewings und kulturellen Angeboten. Das nutzen wir, um bei den Fans für längere Reiseaufenthalte in Deutschland zu werben. Im November jährt sich der Mauerfall zum 35. Mal. Aus diesem Anlass starten wir eine Social Media- und Influencerkampagne zu ganz aktuellen touristischen Entwicklungen, beispielsweise zu den neuen Bundesländern als Ziel für Workation. Und wir lenken die Aufmerksamkeit potenzieller Gäste in diesem Jahr schon auf ein Ereignis im Jahr 2025. Denn nach Westberlin 1988, Weimar 1999 und der Kulturregion Metropole Ruhr im Jahr 2010 wird im nächsten Jahr Chemnitz Kulturhauptstadt Europas.
DM: Aus welchen Ländern kommen die meisten Touristen nach Deutschland?
Petra Hedorfer:Die wichtigste Quellregion für den deutschen Incoming-Tourismus ist und bleibt Europa – mehr als drei Viertel der internationalen Übernachtungen generieren wir auf dem eigenen Kontinent. Die meisten Gäste kamen 2023 wieder aus unseren Nachbarländern, den Niederlanden und der Schweiz, außerdem aus Großbritannien, Österreich, Polen und Frankreich. Viele Länder haben die Folgen der Corona- Pandemie überwunden und konnten zu den Ergebnissen des bisherigen Rekordjahres 2019 aufschließen oder diese sogar übertreffen.
Das enge transatlantische Bündnis spiegelt sich auch in der dauerhaften Platzierung der USA unter den Top-Quellmärkten des deutschen Incoming-Tourismus wider. Unter den asiatischen Märkten verzeichneten insbesondere Indien, Südkorea und die Arabischen Golfstaaten 2023 hohe Zuwächse. Japan und der außerordentlich potenzialstarke chinesische Markt haben die Rückgänge aus der Corona-Krise noch nicht wieder ausgeglichen, allerdings sind die Reiseabsichten nach Analysen der European Travel Commission deutlich gestiegen. In China setzt der Restart von Auslandsgruppenreisen deutliche Signale.
DM: Was ist den Touristen wichtig?
Petra Hedorfer:Städte und Kultur sind europaweit gefragt: Laut aktuellen Studien der European Travel Commission vom Oktober 2023 sind Städtetrips mit 19,3 Prozent das gefragteste Reisesegment, gefolgt von Culture & Heritage mit 16,7 Prozent und Nature & Outdoors mit 13,5 Prozent. Bei diesen Trendthemen können wir als Reiseland Deutschland mit unserem touristischen Angebot sehr gut punkten. Denn international tragen „historic buildings“ und „vibrant cities“ überdurchschnittlich zu unserer touristischen Wertschätzung bei. Das hat gerade wieder der Anholt Ipsos Nation Brands Index bestätigt.
Ein Thema, das für den internationalen Tourismus auch auf Kundenseite immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist klimaund umweltfreundliches Reisen. Wir haben dazu Studien in Auftrag gegeben. IPK International hat festgestellt, dass fehlende Nachhaltigkeitsangebote heute schon ein Ausschlusskriterium bei der Reiseentscheidung sein können. In diesem Kontext greift unsere Nachhaltigkeitsstrategie: Beim klimaschützenden und nachhaltigen Angebotsspektrum bescheinigt uns die IPK-Studie Platz 3 nach Schweden und der Schweiz unter 27 verglichenen Nationen.
Interview Marie Wildermann