InterviewRohstoffe knapp, Preise dramatisch

Rund 60 Prozent der deutschen Firmen haben mit Störungen in den Lieferketten und in der Logistik aufgrund des Ukraine-Krieges zu kämpfen, so der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung des DIHK Dr. Volker Treier hat mit dem Diplomatischen Magazin über die angespannte Situation gesprochen.

DM: Herr Dr. Treier, welche Branchen sind betroffen und was sind die Konsequenzen?
Dr. Volker Treier: Schon vor dem Krieg hatte die Breite der deutschen Wirtschaft mit Lieferschwierigkeiten und Preisanstiegen zu kämpfen. Insbesondere Industrieunternehmen, die häufig auf Zulieferungen von Rohstoffen und Vorleistungsgütern aus dem Ausland angewiesen sind, klagen über fehlende Materialien. Aber auch die Bauwirtschaft und der Großhandel sind in erheblichem Maße davon betroffen. Von A wie Ammoniak bis Z wie Zinn – so vielfältig unsere Wirtschaft ist, so vielfältig sind die Meldungen über Materialien, die nur viel später, gar nicht oder zu deutlich höheren Preisen geliefert werden. In der Folge müssen Betriebe ihre Produktion drosseln oder die Bänder gar ganz stilllegen. Aufträge können nicht abgearbeitet werden. Die Unternehmen machen sich auf die Suche nach neuen Lieferanten. Der Aufbau neuer Lieferketten benötigt jedoch Zeit.

DM: Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hat ergeben, dass deutsche Unternehmen schon vor dem Ukraine-Krieg immer öfter mit Handelshemmnissen zu tun hatten. Welche Handelshemmnisse waren das?
Dr. Volker Treier: Wir sehen seit einigen Jahren zunehmenden Protektionismus. Im vergangenen Jahr waren es 54 Prozent der auslandsaktiven Unternehmen – ein neuer trauriger Höchststand. Am häufigsten bereiten den Unternehmen dabei lokale Zertifizierungsanforderungen oder verstärkte Sicherheitsanforderungen Sorgen. Zusätzliche Prüfungen von Produkten oder international unübliche Sicherheitsvorschriften kosten die Betriebe Zeit und Geld und sorgen für mehr Bürokratie. Weitere Hürden im internationalen Handel sind etwa intransparente Gesetzgebungen in den Zielländern, eine Zunahme von Zöllen, Sanktionen und Zwang zu mehr lokaler Produktion von Gütern. Ich will es so zusammenfassen: Die Globalisierung ist in einem schlechten Zustand.

DM: Dabei hatte ja schon die Pandemie den Unternehmen heftig zugesetzt. Wurden Lehren aus der Pandemie gezogen?
Dr. Volker Treier: Einerseits ja: Die Hilfen für die Wirtschaft haben – sieht man einmal von einer ruckeligen Anfangsphase ab – letztlich gut funktioniert und entfalten noch immer positive Wirkungen. Immerhin hat der Staat bis jetzt Hilfen im Umfang von knapp 140 Mrd. Euro an Betriebe und Soloselbständige geleistet. Hier wurde die Wirtschaft auch frühzeitig und regelmäßig einbezogen. Dass Verwaltungen in Deutschland auch schnell und unbürokratisch agieren können, gehört ebenfalls zu den positiven Erfahrungen. Auf der anderen Seite hat Corona schonungslos Schwächen aufgedeckt. Es hat zum Beispiel nur selten funktioniert, dass Regelungen einheitlich im gesamten Bundesgebiet angewendet wurden. Und noch ein „Lessons learned“: Datenschutz ist ein wichtiges Recht – gefragt ist aber ein pragmatischer Umgang unter Berücksichtigung intelligenter Löschkonzepte. Es sollten in Zukunft viel stärker datenbasiert und konsequent digital gearbeitet werden. Dann könnten staatliche Maßnahmen viel zielgerichteter angewendet werden.

Auf Seiten der Unternehmen selbst wird nunmehr das Thema „Diversifizierung der Lieferketten ganz großgeschrieben. Just-in-time-Produktion ist schwieriger geworden und wird angesichts gestiegener Unsicherheiten schwierig bleiben. Lagerhaltung und Risikoabsicherung werden wichtiger. All das erhöht Kosten und wird am Ende auch zu Lasten von Verbraucherinnen und Verbrauchern gehen.

DM: Steigende Energie- und Rohstoffkosten machen den Unternehmen derzeit hierzulande zu schaffen. Welche Forderungen hat der DIHK diesbezüglich an die Politik? Rechnet der DIHK mit Insolvenzen?
Dr. Volker Treier: Nahezu alle Branchen sind von den dramatischen Preissteigerungen bei Strom, Gas und Kraftstoffen betroffen. Die Politik sollte daher alles tun, um betroffene Unternehmen zu entlasten. Dazu gehört neben der Abschaffung der EEG-Umlage auch das Senken der Stromsteuer und anderer staatlicher Umlagen. Einige Unternehmen benötigen kurzfristig zinsgünstige KfW-Kredite und auch Notfallzahlungen, um Produktionseinstellungen zu verhindern. Mittelfristig geht es darum, das Angebot an erneuerbarer Energie hochzufahren und Direktverträge oder Eigenversorgung zu vereinfachen. Einzelne Unternehmen aus der Papier- und Stahlbranche stellen bereits ihre Produktion ein. Insgesamt stark betroffen ist die Glas- und Keramikindustrie, aber auch Metallverarbeiter und Spediteure.

Interview Marie Wildermann