Der kometenhafte Aufstieg führte Wirecard, einen Finanzdienstleister für Online-Zahlungsverkehr, 2005 zum Börsengang. Erst 15 Jahre später fliegt das System Wirecard auf. Im Frühjahr 2019 hatte die Financial Times erstmals über Ungereimtheiten mit Wirecards Tochterfirmen in Asien berichtet und über Scheinhandelsgeschäfte mit Unternehmen, die gar nicht mehr existierten. Wegen der erfundenen Profite hatte Wirecard mühelos Kredite bekommen. Als offensichtlich wurde, dass Bilanzen und Finanzunterlagen durch Wirecard gefälscht worden waren, stürzte die Aktie ins Bodenlose. Die deutsche BaFin, deren Job die Kontrolle gewesen wäre, hatte den Skandal nicht nur nicht bemerkt, sie schickte McCrum 2019 eine Anzeige wegen des Verdachts auf Aktienmanipulation. Doch McCrum ließ nicht locker, bis der ganze Wirecard Abgrund aufgedeckt war. Dan McCrum sagte im Untersuchungsausschuss des Bundestags aus und erhielt für seine Berichterstattung Journalistenpreise. Der wirtschaftliche Schaden, den Wirecard verursacht hat, wird auf 30 Milliarden Euro geschätzt. Das Diplomatische Magazin hat mit Dan McCrum über seine Recherchen im Fall Wirecard gesprochen.
DM: Herr McCrum, wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass mit Wirecard etwas nicht stimmt?
Dan McCrum: Ich unterhielt mich mit einem australischen Hedge-Fonds-Manager und er sagte zu mir, Dan, bist du an ein paar deutschen Gangstern interessiert? Und dann kam ein anderer, so genannter Leerverkäufer, namens Leo Perry auf mich zu, und wir gingen in London einen Kaffee trinken, und er stellte diese ganze Theorie auf, dass Wirecard seine Gewinne fälscht.
DM: Und woher wusste er das?
Dan McCrum: Wirecard hatte eine ganze Reihe kleiner Unternehmen in Asien gekauft, in Singapur, Laos, Indonesien. Perry verglich die Angaben von Wirecard mit den Informationen, die er über diese Unternehmen in öffentlichen Berichten und im Internet finden konnte. Und die stimmten nicht überein. Leerverkäufer haben diese Redewendung: “Es ist nie nur eine Kakerlake in der Küche.” Wenn Wirecard also bei diesen Dingen gelogen hatte, dann hatte es wahrscheinlich auch bei vielen anderen Dingen gelogen.
DM: Und darauf hin begannen Sie zu recherchieren?
Dan McCrum: Ich habe also mit meinen Recherchen begonnen. Und es hat sechs Monate gedauert, bis wir eine Geschichte veröffentlichen konnten. Muss ein Geschäft so kompliziert sein? Ich glaube, das war Absicht. Ich glaube, sie haben alles über ihr Geschäft so kompliziert wie möglich gemacht, damit niemand es wirklich verstehen konnte.
DM: Sie sind bedroht worden?
Dan McCrum:Es gab diese ganze verrückte Serie von Eskalationen. Das Buch ist wirklich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen mir und der Financial Times und Wirecard. Und so fing es an mit juristischen Briefen, dann mit Hackern, dann mit Privatdetektiven, die Leute beschatten. Und dann war da das Angebot, vielleicht für eine Bestechung, 10 Millionen Dollar. Ich meine, wen kann man für 10 Millionen Dollar nicht kaufen? (Lachen)
DM:Und haben Sie einen Moment überlegt, diese 10 Millionen anzunehmen? (Lachen)
Dan McCrum: Es gab jede Menge Witze darüber in der Redaktion. Ich erinnere mich, dass wir darüber berichteten und der Nachrichtenredakteur rüberkam und sagte: „Ich will auch was. Wo ist mein Anteil?” Also, es ist schwer zu beschreiben, wie unerhört so etwas ist. Es schien wie etwas aus einem Spionageroman. Und so gingen wir davon aus, dass es eine Falle war, um zu zeigen, dass wir korrupt sind.
DM: Und das Wirecard Management hat seine Leute angewiesen, Ihnen Angst einzujagen?
Dan McCrum: Also ein bisschen was davon können wir beweisen. Und, ja, es war sehr einschüchternd. Wirecard, wissen Sie, hat angefangen, eine Menge Privatdetektive einzusetzen. Der Haupttyp war dieser charismatische österreichische Senkrechtstarter. Und einer seiner Freunde war der ehemalige Chef des libyschen Geheimdienstes. Also ließ er diesen Typen einige seiner Spionageoperationen leiten. Aber wir bekamen Hinweise darauf, dass Jan (Jan Marsalek, Ex-Wirecard- Vertriebsvorstand, Schlüsselfigur des Skandals, steht auf der internationalen Fahndungsliste, Anmerkung der Redaktion) auch einige russische Freunde hatte. Und er wedelte mit diesen streng geheimen Dokumenten, mit dem Rezept für das Nervengift Nowitschok herum. Wir begannen zu erkennen, mit was für gefährlichen Leuten wir es zu tun hatten.
DM: Wie war es möglich, dass weder Kontrollbehörden noch Presse so lange nichts bemerkt haben?
Dan McCrum: Die Leute sehen, was sie sehen wollen, vor allem, wenn es um Geld geht. Zum Teil war es also Gier. Zum Teil war es die Annahme, dass sich jemand anderes darum gekümmert hatte. Es ist also eine Art Spiel. Jeder sagt: „Nun, die Wirtschaftsprüfer müssen ihre Arbeit gemacht haben. Und die Banker und die Investoren.” Und, wissen Sie, es ist eine dieser zeitlosen Geschichten. Die Menschen sind immer wieder auf Betrüger hereingefallen. Besonders, wenn man nicht damit rechnet. Man geht in das Wirecard-Büro in München und sieht Tausende von Menschen, die vorgeben, richtige Arbeit zu leisten. Und wissen Sie, Markus Braun hat sich in die Riege der großen Namen unter den CEOs von Technologieunternehmen eingereiht. Er ist Milliardär. Sie wissen, dass die Leute Erwartungen haben, wie diese Art von Menschen sind. Und das ist irgendwie unfassbar, nicht wahr? Wie konnten sie in diese Position kommen, wenn das alles ein Betrug war.
DM: Ihre Zeitung, die Financial Times, hat gezögert, den Fall zu veröffentlichen. Warum?
Dan McCrum: Ich würde nicht sagen, dass die Financial Times zögerte. Vieles davon konnten wir damals nicht drucken, weil wir nicht beweisen konnten, dass Wirecard hinter den schmutzigen Tricks steckte. Wir konnten nichts schreiben, bis wir handfeste Beweise hatten. Und was uns dann alle überraschte, war, wie große Teile Deutschlands das, was wir hatten, nicht zu beachten schienen.
DM: Markus Braun, der ehemalige CEO von Wirecard, und zwei weitere Ex-Manager wurden verhaftet. Die Vorwürfe: Betrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue. Der Prozess wird im Herbst fortgesetzt. Werden Sie ihn verfolgen?
Dan McCrum: Ja, mit großem Interesse. Es wird interessant sein zu sehen, was die Konsequenzen in Deutschland sind.
Interview Marie Wildermann