Rafael Seligmann, geb. 1947 in Tel Aviv, ist einer der bekanntesten Autoren Deutschlands. Er hat zahlreiche Romane geschrieben, war viele Jahre lang als Chefredakteur und Herausgeber tätig und schreibt heute als Journalist für verschiedene Medien zeitgeschichtliche Analysen und kommentiert das Tagesgeschehen. In seinem aktuellen Buch geht es um die politischen Brandstifter unserer Zeit. Das Diplomatische Magazin hat mit ihm gesprochen.
DM: Herr Seligmann, in Ihrem Buch charakterisieren Sie fünf politische Leader unserer Zeit als Brandstifter: Putin, Xi Jinping, Erdogan, Netanyahu und Trump. Warum gerade diese fünf? Man könnte die Liste mühelos verlängern um die Taliban, die HAMAS, die Regierung im Iran, um den Nordkoreaner Kim Jong-un und viele andere.
Rafael Seligmann: Mir waren bekannte Brandstifter wichtig, vor allem auch Brandstifter in demokratischen Staaten, in denen gewählt wird, wie in den USA, in Israel, in der Türkei und selbst im autoritären Russland. Man hätte auch die Demokratie Indien hinzufügen können, wo Ministerpräsident Modi ebenfalls als Brandstifter auftritt.
DM: Was Sie beschreiben, könnte man auch als „toxische Männlichkeit“ charakterisieren. Warum sind diese Männer dennoch erfolgreich?
Rafael Seligmann: Weil sie für komplexe Fragen in einer sich ständig ändernden Welt scheinbar einfache Antworten vermitteln. Der Preis ist allerdings hoch: Die Spaltung der jeweiligen Gesellschaft. Das bedeutet innere Konflikte und kann zu äußeren Kriegen führen.
DM: Wie kann man sie stoppen?
Rafael Seligmann: Durch einen demokratischen Staat mit einer freien Presse in einer selbstbewussten freien Gesellschaft, einer unabhängigen Justiz und einem demokratischen Gleichgewicht, das bedeutet eine Regierung, die dem Parlament und der unabhängigen Justiz Rechenschaft schuldig ist. Und in der die Staatsführung keine unumschränkte Macht besitzt. So werden Brandstifter verhindert oder von der Macht verdrängt. Diese Kräfte wirken wie eine Feuerwehr gegen Brandstifter.
DM: Putin hat alle Opposition im Keim erstickt, wie ist da ein Aufbegehren möglich?
Rafael Seligmann: Die Menschen müssten sich – trotz Gefahr – in demokratischen Parteien und Bewegungen organisieren, auch wenn es Opfer kostet, wie die Tötung Nawalnys gezeigt hat.
DM: Und wie sollte die Diplomatie mit politischen Brandstiftern umgehen?
Rafael Seligmann: Kissinger hat richtig festgestellt: Alles beginnt mit einer schonungslosen Analyse der Wirklichkeit. Aber: Diplomaten müssen einen Gesprächskanal offenhalten und sie müssen den Brandstiftern die Kosten ihrer Handlungen vor Augen führen. Wie das gegenüber Netanjahu geschieht, ebenso gegenüber Russland. Was wird Iran gewinnen, was verlieren, wenn das Regime den Konflikt weitertreibt. Wir Demokraten müssen selbstbewusster auftreten. Beispielsweise gegenüber dem russischen Präsidenten Putin. Wir haben versäumt, ihm nach der Besetzung der Krim die Konsequenzen eines Angriffskrieges deutlich zu machen, damit haben wir ihn indirekt zum Krieg gegen die Ukraine ermutigt.
DM: Herr Seligmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Interview Marie Wildermann