Interview„Wer Armut nachhaltig bekämpfen will, …“ UN Women engagiert sich für Frauen weltweit


Zugang zu den gleichen Ressourcen wie Männer, Zugang zu Bildung und angemessene Vertretung in den Parlamenten – das sind nur einige der vielen Forderungen, um die Situation von Frauen weltweit nachhaltig zu verbessern. „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit“, sagt Elke Ferner, Vorstandsvorsitzende von UN Women, im Gespräch mit dem Diplomatischen Magazin.

DM: Frau Ferner, die letzte UN-Frauenrechtskommission forderte „sofortige Maßnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Mädchen bis 2030“. Welche Maßnahmen sind das und wie stehen die Chancen auf Verwirklichung?

Elke Ferner:
Die diesjährige Frauenrechtskommission beschäftigte sich im Schwerpunkt mit den Themen Armutsbekämpfung von Frauen und Mädchen sowie geschlechtergerechte Finanzpolitik. Die Forderungen sind alle nicht neu, denn wir haben seit Jahren kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit. Es ging um nicht weniger als den gleichen Zugang zu Bildung, zum Gesundheitssystem, zu guter Arbeit inklusive Equal Pay, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle Familienformen sowie eine faire Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit, die gleiche Teilhabe in Führungspositionen und in den Parlamenten. Die eigenständige Existenzsicherung, in Verbindung mit garantierten Rechtsansprüchen zur Absicherung der großen Lebensrisiken, sind der beste Schutz vor Armut. Dabei sind alle Dimensionen und alle Ebenen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gefordert, einen verbindlichen und wirksamen Rechtsrahmen zu schaffen. Die vollständige Gleichstellung der Geschlechter muss dabei das Leitprinzip sein, damit zusammen mit einem konsequenten Gender Impact Assessment bis 2030 die vollständige Gleichstellung verwirklicht werden kann. Dazu gehört auch, geschlechtsspezifische Gewalt aktiv zu bekämpfen, damit sich Frauen und Mädchen frei entfalten und in Sicherheit leben können. Die Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung bis 2030 kann nur gelingen, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist und Investitionen in Gleichstellung als das betrachtet werden, was sie sind: Investitionen in eine nachhaltige und gerechte Zukunft für alle Menschen.

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DM: Die UN-Mitgliedstaaten haben sich auf ein Abschlussdokument zur Beseitigung der Armut von Frauen und Mädchen verständigt. Das klingt gut, scheitert aber wohl an der Wirklichkeit, denn Armut hat ja nicht nur eine Ursache, sondern ist in der Regel multikausal.

Elke Ferner: Entsprechend multikausal muss die Antwort auf geschlechtsspezifische Armut ausfallen. Armut kann nur durch umfassende Geschlechtergerechtigkeit in allen Politikfeldern, auf allen Ebenen und in allen Teilen der Welt bekämpft werden. Die 3 R’s der feministischen Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit – Rechte, Ressourcen, Repräsentanz – müssen in alle Politikfelder integriert werden. Wer Armut nachhaltig bekämpfen will, muss die strukturellen Ursachen für Armut beseitigen. Eingeschränkter Zugang zu kostenloser Bildung, fehlende sexuelle und reproduktive Rechte, rechtliche und strukturelle Benachteiligungen von Frauen und Mädchen in all ihrer Vielfalt, Rollenstereotype und mangelnde Partizipation in Entscheidungsgremien vergrößern das Armutsrisiko und verletzen das Recht von Frauen und Mädchen, frei von Armut und Ungerechtigkeit zu leben, weltweit. Die komplexe Wechselwirkung zwischen Armut und Geschlechterungleichheiten vertieft insbesondere in Krisen bestehende Diskriminierungen. Politische Entscheidungsträger/innen müssen verstehen, dass Geschlechtergerechtigkeit kein „nice to have“ ist, sondern eine dringende Notwendigkeit.

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DM: „Feministische Außenpolitik“: Ist dieses Konzept im Ernstfall nicht eher ein zahnloser Tiger, wie wir am Beispiel Iran sehen konnten und können?  

Elke Ferner: Eine feministische Außenpolitik ist ein wichtiges Instrument für die Gleichstellung der Geschlechter. Nichtsdestotrotz ist die feministische Außenpolitik kein Wundermittel, um patriarchale Strukturen weltweit auf einen Schlag und im Alleingang zu verändern. Die Bewegung „Woman. Life. Freedom.“ im Iran und die Reaktion des Regimes auf die Proteste ist sicherlich ein Ereignis, auf das die feministische Außenpolitik eine wirksame Antwort finden muss. Die Reaktion des Regimes auf die Proteste im Iran hat von der deutschen Regierung zuallererst eine Verurteilung dieser Gewalt gefordert. Der Zeitpunkt dieser Reaktion kann unterschiedlich bewertet werden, ändert aber nichts an der Bewertung der Wirksamkeit von feministischer Außenpolitik an sich. Der explizit feministische Blick auf außenpolitisches Handeln fordert die Politik zum Abbau von patriarchalen Strukturen auf. Mögliche Kritik an der daraus resultierenden realpolitischen Umsetzung kann nicht bedeuten, dass feministische Außenpolitik an sich unwirksam ist, sondern zeigt, dass diese umso konsequenter verfolgt werden muss.

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DM: „Feministische Entwicklungspolitik“ meint: Es werden nur Projekte gefördert, die die Perspektiven von Mädchen und Frauen nachhaltig verbessern. Können Sie uns dafür einige Beispiele nennen? 

Elke Ferner: Feministische Entwicklungspolitik folgt dem Grundsatz, bestehende diskriminierende und postkoloniale Machtstrukturen langfristig abzubauen. Feministische Entwicklungspolitik sieht Frauenrechte und Gleichstellung als wichtige Voraussetzung zur Beendigung von Armut und Hunger und für eine nachhaltige Entwicklung an. Als Beispiel für eine feministische Entwicklungspolitik kann ein Projekt von UN Women im Libanon genannt werden. Dort werden Frauen dazu ausgebildet, erschwingliche Periodenprodukte herzustellen und zu vertreiben. Damit können Frauen ein eigenes Einkommen erwirtschaften und finanziell unabhängig werden, gleichzeitig wird Periodenarmut bekämpft und das Tabu der Periode abgebaut. Ein weiterer Ansatzpunkt für eine feministische Entwicklungspolitik ist die besondere Betroffenheit von Frauen durch die Auswirkungen der Klimakrise. Das EmPower-Projekt von UN Women und dem UN Environment Programme ermöglicht Landwirtinnen in Kambodscha zum Beispiel die Finanzierung von solarbetriebenen Wasserpumpen. Insgesamt konnten 425 Frauen in Kambodscha, Bangladesch und Vietnam im Rahmen des Projekts eine klimaresiliente Lebensgrundlage aufbauen.

DM: Frau Ferner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Interview Marie Wildermann