Politics & StandpointsGrenzenlos atmen

Die Luft, die wir atmen, ist von entscheidender Bedeutung für unsere physische und psychische Gesundheit. Obwohl der Zusammenhang auch wissenschaftlich hinlänglich belegt ist, ist die Luftqualität für viele Menschen in weiten Teilen der Welt noch immer besorgniserregend schlecht. Internationale Kooperationen könnten das ändern.

Betroffen von schlechter Luftqualität sind nicht nur aufstrebende Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien oder Nigeria, auch in Ländern des globalen Nordens, insbesondere in Städten und Ballungszentren, kommt es aufgrund von Emissionen aus Verkehr, Industrie und Haushalten zu regelmäßigen Überschreitungen von Schadstoffobergrenzen, die unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt wurden.

Luftverschmutzung

Während sich die Welt im Pariser Klimaabkommen bereits auf eine systematische Senkung von Treibhausgasen geeinigt hat, hinkt die internationale Kooperation zur koordinierten Reduktion von „lokalen“ Schadstoffen weiter stark hinterher. Dieses Unvermögen erlangt einen neuen Stellenwert, wenn man sich vor Augen führt, dass Luftverschmutzung durch Schadstoffe wie Kohlenstoffmonoxid, Feinstaub oder Ozon, im Gegensatz zu klimawirksamen Emissionen einen direkten und unmittelbaren Einfluss auf die menschliche Leistungsfähigkeit hat.

Erkrankungen durch schlechte Luft

Luftverschmutzung kann vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit haben: Atemwegserkrankungen wie Asthma und Bronchitis können ebenso auftreten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu denen Herzinfarkte und Schlaganfälle zählen. Was vielleicht weniger bekannt sein dürfte, ist, dass auch Krebs und Beeinträchtigungen des Nervensystems durch erhöhte Schadstoffwerte ausgelöst werden können.

Fehlentscheidungen aufgrund von Smog

Des Weiteren stehen die kognitiven Fähigkeiten und damit die Produktivität des Menschen in direktem Zusammenhang mit der Luft, die wir atmen. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Broker an chinesischen Börsen an Tagen mit erhöhtem Smog signifikant mehr finanzielle Fehlentscheidungen treffen als an weniger belasteten Tagen.

Auswirkung auf Ökonomie

Die Auswirkungen von Luftverschmutzung auf das menschliche Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und die physische Gesundheit (insbesondere von Kindern, älteren und bereits erkrankten Menschen) hängen deshalb auch direkt mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes zusammen, da eine systematisch geschwächte Bevölkerung weniger stark zu wirtschaftlichem Wachstum beitragen kann.

Keine internationale Koordinierung

Da es sich bei der Luftverschmutzung um ein globales Problem handelt, ist für eine effiziente Lösung eine verstärkte internationale Zusammenarbeit notwendig. Aktuell kümmern sich die meisten Staaten jedoch eigenständig um Präventionsmaßnahmen im Umgang mit verschmutzter Luft. Dass viele Schadstoffe Strecken von bis zu mehreren tausend Kilometern zurücklegen können und der Bau „schmutziger“ Industrien an Ländergrenzen gang und gäbe ist, wird dabei weitgehend ignoriert.

Kurzfristige, regionale Maßnahmen

Oftmals greifen Städte, Regionen oder auch Staaten zu kurzfristigen Maßnahmen, um die Auswirkungen niedriger Luftqualität in den Griff zu bekommen. Privatpersonen versuchen, sich durch Atemmasken oder Luftfilter in Innenräumen bestmöglich zu schützen, andererseits erlassen Regierungen teilweise kurzfristige Einschränkungen, zu denen beispielsweise Fahrverbote oder tageweise Einschränkungen für emissionslastige Industrien zählen. All diese Maßnahmen sind, oftmals aus Kostengründen, jedoch temporär und auf einen, global gesehen, meist kleinen, relativ wenige Menschen betreffenden Radius beschränkt.

Langfristige Maßnahmen

Langfristige Möglichkeiten zur Verbesserung der Luftqualität existieren, werden in einem angemessenen Umfang jedoch in vergleichsweise wenigen Staaten angewendet. Die Förderung umweltfreundlicher Mobilität, zu der der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Nutzung von Fahrrädern oder die Schaffung fußgängerfreundlicher Wege zählt, kann unter anderem dazu beitragen, den Verkehrsfluss auf den Straßen zu reduzieren und damit Emissionen zu senken.

Des Weiteren kann umweltfreundliche urbane Infrastruktur, d.h. Grünflächen und Parks in städtischen Gebieten, Schadstoffe aus der Luft filtern und damit ebenfalls die Luftqualität zu verbessern.

Strenge Umweltstandards

Ein rigiderer Umgang mit diesem Problem erfolgt bisweilen auch durch die Einführung strenger(er) Umweltstandards und die gezielte Überwachung dieser. Die Einhaltung und Umsetzung all solcher Maßnahmen sind besonders für finanzschwache Staaten nur schwer erreichbar, weshalb es auch hier ganz gezielt einer starken internationalen Kooperation bedarf. Um eine langfristige und nachhaltige Verbesserung der Luftqualität zu erreichen, sind ausgedehnte interstaatliche Kooperationen sowie das Entwickeln und Implementieren neuer Technologien daher ein Muss.

Initiativen in der EU und in Asien

Eine internationale Zusammenarbeit kann Lösungen befördern, die nicht nur die Luftqualität verbessern (und damit das Wohlbefinden der Menschen), sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung voranbringen. Beispiele für solche Kooperationen gibt es aber erst wenige. So existieren aktuell mit der EU-Luftqualitätsrichtlinie sowie der Clean Air Asia Initiative lediglich zwei multilaterale Gebilde in einem erwähnenswerten Ausmaß. Die EU-Luftqualitätsrichtlinie legt strengere Standards für Luftqualität in Europa fest, regelt die Überwachung und Einhaltung dieser Standards und dient als Vorbild für andere Länder und Regionen. In Asien, einer der am meisten von Luftverschmutzung betroffenen Regionen weltweit, soll die Clean Air Asia Initiative für eine Verbesserung der Luftqualität durch gemeinsame Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Industrie und Energie sorgen.

Umweltprobleme und Wirtschaftswachstum

Globale Ziele und Kooperationen müssen auch in Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) entwickelt und umgesetzt werden: Ohne saubere Luft sind weder Gesundheit und Wohlstand noch das nachhaltige Leben in Städten und Gemeinden möglich. Um solch eine intensivere Zusammenarbeit anzustoßen, muss verstanden werden, dass die Luftverschmutzung einen signifikanten Rückkopplungseffekt auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes hat. Aber noch immer ist der Gedanke weit verbreitet, dass ein Land wachstumsbedingte Umweltprobleme durch noch mehr Wirtschaftswachstum bewältigen kann. Dieses längst widerlegte Konzept der Vereinten Nationen von 1992 hält sich bis heute hartnäckig – ablesbar an vielen entwicklungspolitischen Entscheidungen.

Text Tom Zeising