InterviewvisitBerlin

Berlin ist eine der angesagtesten Städte, vor allem für junge Menschen. Braucht es da noch Werbung für die Metropole? Ja, sagen CEO Burkhard Kieker und Medical Tourism Manager Michaela Kehrer von visitBerlin und meinen zum Beispiel Marketing für bestimmte Zielgruppen. Darüber und wie der Tourismus in Berlin sich nach der Pandemie entwickelt, hat das Diplomatische Magazin mit den beiden Tourismus-Experten gesprochen.

DM: Wie schwer ist es, nach den Covid-Jahren den Tourismus in Berlin wieder anzukurbeln?
visitBerlin: Seit dem Frühjahr 2022 kommen die Gäste wieder nach Berlin zurück. Im Sommer und Herbst haben wir neben Lissabon, Barcelona und New York den besten Restart hingelegt. Wir können eine deutlich spürbare Erholung des Berlin-Tourismus verzeichnen, es ist eine Art Revanche-Tourismus zu beobachten und zeigt uns: Das positive Image unserer Stadt hat Covid unbeschadet überstanden. Berlin wird weiterhin als weltoffene Stadt, in der sich ständig etwas Neues entwickelt, wahrgenommen.

DM: visitBerlin will den Berlin-Tourismus weiterentwickeln und zukunftsfähig machen. In welche Richtung ist eine Weiterentwicklung nötig?
Burkhard Kieker: Im Mittelpunkt stehen Stadtverträglichkeit und Nachhaltigkeit. Der Tourismus kann sich nur im Einklang von Gästen und Bewohnern nachhaltig entwickeln, wir setzen dabei z.B. auf Qualitätstourismus und Bürgerpartizipation. Die Voraussetzung dafür haben wir gemeinsam mit dem Land Berlin mit dem Tourismuskonzept 2018+ geschaffen. Dieses entwickeln wir mit unseren Partnern aus der Politik und Tourismusbranche kontinuierlich weiter und setzen die einzelnen Maßnahmen und Aktionen gemeinsam um.

DM: Sie werben weltweit für Berlin. Gibt es Schwerpunktländer, in denen Sie vorrangig Berlin-Werbung machen?
visitBerlin: Mit den Veränderungen und Neuausrichtungen des internationalen Tourismus mit abklingender Pandemie ist auch 2023 noch weiterhin flexibles Reagieren auf aktuelle Entwicklungen die Devise. Ein Schwerpunkt bleibt auf jeden Fall der deutsche Markt. Die europäischen Märkte mit dem bisherigen Volumenmarkt UK und den besucherstarken Ländern Niederlande, Spanien und Frankreich sind ebenso von Bedeutung wie der wieder stark wachsende US-Markt mit weiteren neuen Direktflugverbindungen im kommenden Jahr. Parallel dazu wird die Marktentwicklung Asien (hier mit dem Fokus auf Indien, Korea, Vietnam), Mittlerer Osten (UAE und Saudi Arabien) und Südamerika mit dem Fokus auf Brasilien weiter geführt.

DM: Wie muß man sich die praktische Umsetzung der Kampagnen in den jeweiligen Ländern vorstellen? Arbeiten Sie mit Werbeagenturen vor Ort zusammen?
visitBerlin: Wir arbeiten in den meisten Märkten eng mit den Auslandvertretungen der Deutschen Zentrale für Tourismus zusammen. Kampagnen werden budgetabhängig über Agenturen nach den erforderlichen Ausschreibungen umgesetzt. Diese können sowohl aus Deutschland kommen, aber auch aus den Quellmärkten. Der Großteil der internationalen Marktbearbeitung erfolgt allerdings ohne Kampagnenunterstützung.

DM: Berlin hat auch als Kongressdestination gelitten. Mit welchen Strategien wollen Sie Berlin als Kongress-Stadt wieder attraktiv machen?
visitBerlin: Der Kongressstandort Berlin hat nicht an Attraktivität verloren. Durch die gemeinsame Arbeit aller Akteure aus Veranstaltungswirtschaft, Politik und Verwaltung konnten Unterstützungsangebote geschaffen werden, die greifen und damit konnte der Großteil der für Berlin typischen und einzigartigen Angebote für Events erhalten bleiben. Das Umfeld hat sich extrem gewandelt und unsere Branche steht vor komplexen Herausforderungen, die wir als DMMO – Destination Marketing und Management Organisation – aktiv begleiten und unterstützen. Die „VUCA-Welt“ – volatility, uncertainty, complexity, ambiguity – trägt dazu bei, dass die Branche noch flexibler und resilienter werden muss. Deshalb haben wir an Lösungen gearbeitet, die bereits Früchte tragen. Dazu zählen der Ausbau des Nachhaltigkeits-Programms „Sustainable Meetings Berlin“, bei dem wir Dutzenden von Anbietern einen kostenfreien Zertifizierungsprozess ermöglicht haben. Im aktuellen Global Destination Sustainability Index platziert sich Berlin unter den Metropolen weltweit auf Platz fünf.
Wir zeigen die Stärken der Destination beim „Bestival“, dem MICE und Travel Festival, haben die Vermarktungskampagne „Meet in the world of Berlin“ gestartet und mit der „Task Force MICE“ die Akquisition von neuen Kundinnen und Kunden intensiviert. Unser Ziel: mehr Veranstaltungen für Berlin (wieder-) zu gewinnen.

DM: Berlin ist auch medizintouristisch attraktiv. Aus welchen Ländern reisen Menschen nach Berlin, um sich medizinisch behandeln zu lassen?
visitBerlin: Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges zählten Russland und die Ukraine, gefolgt von Saudi-Arabien und europäischen Staaten zu den stärksten Märkten. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen haben natürlich zu Verschiebungen geführt, deren Auswirkungen momentan noch schwer abzuschätzen sind, sicherlich werden europäische Staaten wie Polen an Bedeutung gewinnen.

DM: Wie versucht visitBerlin, neue Zielgruppen für den Medizintourismus zu erschließen?
visitBerlin: Bereits seit 2010 bewirbt visitBerlin die Medizindestination Berlin. Der Fokus lag zunächst in der arabischsprachigen Golfregion, sowie in den russischsprachigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Mit dem Launch des medizintouristischen Portals www.berlin-health-excellence.com 2017 wurde mit der chinesischsprachigen Version außerdem China in die Werbemaßnahmen integriert. Der Berlin Medical Tourism Guide wurde ins Chinesische übersetzt und bei Veranstaltungen mit der chinesischen Reiseindustrie vor Ort eingesetzt. Auf den Social-Media-Plattformen WeChat und Weibo wurden Beiträge über die Medizindestination Berlin platziert. Aufgrund von Reiseeinschränkungen in Corona-Zeiten richtete sich der Blick auf das Nachbarland Polen, das laut einer Grundlagenstudie ein großes Nachfragepotenzial verspricht. Die polnischsprachige Version der Website, eine Onlinekampagne und die Präsentation auf der medizintouristischen Messe Curatio in Gdansk mit dem Kooperationspartner Helios gehörten 2022 zu den wichtigsten Marketing-Aktionen.

DM: Welche medizinischen Bereiche werden besonders häufig nachgefragt?
visitBerlin: Berliner Spezialisten werden in allen Fachbereichen nachgefragt, eine etwas höhere Nachfrage gibt es in den Bereichen Onkologie, Kardiologie, Kardiochirurgie, Orthopädie, Neurochirurgie, Neurologie. Oft fragen Patienten mit seltenen oder komplizierten Krankheitsbildern eine Diagnostik/ Behandlung an. Die Berliner Ärzte können ihr spezialisiertes Fachwissen sehr gut anwenden.

Interview Marie Wildermann